Mutter-Kind-Kur: Mach das mal, ganz ehrlich!

Mama mag grad nicht – so hieß mein letzter Beitrag. Vor fucking anderthalb Jahren. Und dazwischen? Mehrere Zusammenbrüche. Monate, in denen das Leben immer grauer wurde und ich am liebsten nur noch geschlafen hätte. Erschöpft, leer, überfordert. Schon wieder ein Spielzeug vom Boden aufheben, schon wieder Wäsche, schon wieder die Spülmaschine ausräumen – ich hatte das Gefühl, zu explodieren, wenn ich nur eins davon nur noch ein verfluchtes Mal tun müsste.

Der Mann kam mit „Mach mal ’ne Mutter-Kind-Kur, los!“. Ganz schön blöd fand ich das. Wie das zügige Outsourcen eines Problems (an mich, natürlich, und an zuständiges Fachpersonal), damit er sich nicht damit beschäftigen muss. Aber mir fiel auch nichts mehr ein, um mich zu retten – man kann ja nicht dauernd nur in der Ecke liegen, so groß das Bedürfnis auch sein mag. Dafür ist das Leben verdammichnocheins einfach mal zu kurz!

Mutter-Kind-Kur also. Meine erste Recherche bei der Krankenkasse brachte mich zu unserer Hausärztin, die mir beim Ausfüllen des Antrags half. Dafür muss man übrigens nicht völlig hinüber sein – zweieinhalb Jahre Kinderbetreung plus Homeoffice dank Corona sind schon ausreichend. Dahinter stecken Doppelbelastung, soziale Isolation und oft genug bereits psychosomatische Auswirkungen – was will man mehr, um so einen schönen Fragebogen auszufüllen? Bei mir genügte es jedenfalls.

Allerdings bereitete mich die Hausärztin darauf vor, dass der Antrag vermutlich im ersten Anlauf abgelehnt würde: Das sei gängige Krankenkassenpraxis. Man müsse dann Widerspruch einlegen und bekäme die Kur dann im zweiten Anlauf genehmigt. Denn in Deutschland besteht alle vier Jahre Anspruch auf eine Mutter/Vater-Kind-Kur – in begründeten Fällen sogar nach zweieinhalb Jahren.

Gut zu wissen – unvorbereitet hätte mich eine Ablehnung in meinem fragilen Zustand vermutlich final umgehauen. Aber ich hatte doppelt Glück: Der Antrag wurde im ersten Durchgang angenommen und ich bekam eine Liste mit Kliniken, bei denen ich mich nach offenen Terminen erkundigen konnte.

Mir war von vornherein klar, dass ich nur ans Meer fahren würde – irgendwo auf dem Trockenen sitzen und jeden Nachmittag auf einen Spielplatz starren, das kann ich auch zuhause haben. Ich wollte am Meer sein, wo Fips von Wellen & Muscheln entertaint würde und meine Seele mal wieder Salzwind schnuppern könnte. Weggestrichen also alle Einrichtungen, die nicht in Wassernähe waren.

Außerdem wollte ich im Sommer fahren. Bloß nicht im Winter in einem Klinikzimmer hocken! Das schränkte die Auswahl deutlich ein und für uns wurde es am Ende die Ostsee-Kurklinik Fischland.

Von Antrag bis zur Abfahrt vergingen etwa sechs Monate – schnell ging es also nicht und ich gebe ganz ehrlich zu, dass mich die Organisation im Vorfeld erst einmal noch tiefer in die Erschöpfungsspirale zog. Antrag, Anschreiben der Kliniken, Terminabsprachen, Packliste, Gesundheitsnachweise und Corona-Tests… aber je näher die Abreise kam, desto mehr schlich sich auch zaghafte Vorfreude in mein Herz. Und da war außer Stress und Gereiztheit monatelange nichts mehr zu spüren gewesen.

In der Klinik in Wustrow wurden wir herzlich empfangen. Von der Parkplatzeinweisung bis zum Unterlagencheck waren die Mitarbeiter:innen bemüht, den ankommenden Mamas Entspannung zu vermitteln, aber erst mal – und da spreche ich wohl für sämtliche der etwa 75 Frauen – sind wir richtig zusammengeklappt. Medizinischer Check, Anwendungsplanung, Betreuungsplan, Essensplan! Hilfe! Bei der Anwendungsbesprechung habe ich die arme Ärztin fast angebrüllt, weil ich so überfordert war. Ich will kein Scheiß Nordic Walking, ich will nur meine Ruhe!!!

Auch das Zimmer war im ersten Augenblick purer Vollfrust für mich. Es wirkte komplett steril und kahl (sogar im Krankenhas gibt’s Bilder!), ging auf einen Parkplatz und durch die bodentiefen Fenster konnte jeder, der zum nächstgelegenen Eingang ging (und da war ordentlich Durchgangsverkehr) direkt bei uns reinglotzen. Heulen wollte ich und toben und schreien, dass ich nichts davon will. Aber da war noch Fips. Fips, der alles „so schön!“ fand und fröhlich mit Mama auf der tollen Kur sein wollte, die im Vorfeld als Paradies schmackhaft gemacht worden war.

Hab mich also zusammengerissen. Mal wieder. Und nach zwei Tagen wurde alles gut.

Ich habe nicht mehr den Parkplatz gesehen, sondern das goldene Abendlicht in den Bäumen dahinter. Ich habe Nordic Walking zwar nicht lieben gelernt, aber mithilfe des locker-schnoddrigen Anweisers irgendwie durchgezogen – und dafür Boxen und Autogenes Training mit Begeisterung gemacht. Ich habe zwischen den Anwendungen genug Zeit gefunden, um mal allein an den Strand oder in die Sauna zu gehen. Ich habe meine Gedanken mal wieder gehört, endlich einen offenen Blick auf die Abwärtsspirale der letzten Monate werfen können – und Lösungen andenken können. Und ich habe sogar wieder so viel Mut und Selbstbewusstsein zusammenkratzen können, um mir ein Surfbrett auszuleihen: Das klingt vielleicht nicht nach etwas Besonderem, aber vor der Kur war ich sogar bei meinen liebsten Hobbies einfach nur klitzeklein und voller Angst. Jetzt war da wieder Kraft.

Auch bei der Kinderbetreuung hatten wir Glück: Fips war begeistert von seinen Erzieherinnen (besonders von Puppe Lotti) und dekorierte unser karges Zimmer mit täglich neuen Bastelarbeiten. Wir waren Stammgast im hauseigenen Schwimmbad und haben auch nachmittags oft die Bastel-Aktionen genutzt. Und mir tat es gut, einfach überall bekannte Gesichter zu treffen und mit denen meisten einfach so ins Gespräch zu kommen. Oft mit tiefen Einblicken ins sehr private Leben, sehr freundlicher Offenheit ohne Scham und manchmal mit Lachmuskelkater bis hinter die Ohren. Das brachte fast mehr als die zwei psychologischen Beratungen ❤

Insgesamt haben wir drei Wochen in einer richtigen Blase verbracht, wie man sie sonst nur aus dem Wochenbett kennt: Wenig Kontakte nach außen, keine Informationen über die Welt „draußen“. Keine Luxus-Mahlzeiten, aber der Luxus, einfach ans Buffet zu gehen und hinterher den Tisch abgeräumt zu bekommen. Ich konnte MICH wieder spüren. Und das war so gut.

Die Abfahrt fiel mir entsetzlich schwer (bei der letzten Sporteinheit hab ich noch mal richtig geheult – aber heulen war auch okay und „akzeptiert“ zwischen all den Mamas). Ich wollte nicht raus aus der Blase, nicht zurück in den Alltag, wo alte Probleme und Gedankenmuster wieder an mir zerren würden. Denn in der Kur gab es zwar neue Power, aber Lösungen… Lösungen für zuhause muss ich allein finden. Davor hatte ich wieder Angst.

Aber ich habe auch Mut mitgenommen. Und viele schöne Steine. Neue Menschen. Und das Wissen, dass mein ICH immer noch irgendwo da drin ist, mit aller Lebensfreude.

Man muss sich ein wenig einlassen auf das Konzept „Kur“. Ja, der Speisesaal ist laut. Nein, die Zimmer und das Essen sind keine Hotelqualität. Ja, die Betreuung läuft – zack! – ohne Eingewöhnung. Nein, die Anwendungen gefallen einem nicht alle. Aber. Es tut gut, einfach mal raus aus dem Alltag zu sein und den Mental Load einfach mal außen vor sein zu lassen.

Und deswegen kann ich es jeder Mama einfach nur ans Herz legen – spätestens, wenn ihr erschöpft sein; aber am besten noch vorher. Und das sind noch ein paar weitere Tipps:

  • Fragt bei eurem Hausarzt nach Unterstützung beim Antrag.
  • Gebt nicht nach, wenn die Krankenkasse ein Mal ablehnt. Das ist nur ein Trick!
  • Wählt einen Ort und eine Jahreszeit, die euch glücklich macht.
  • Lasst euch von der Organisation vorab nicht fertigmachen – es wird!
  • Haltet die ersten zwei Tage durch, bis sich eure Seele umgewöhnt hat.
  • Nehmt ein bisschen Deko mit, um das Zimmer gleich gemütlicher zu machen… z.B. eine schöne Tagesdecke, eine Lichterkette, eine Blumenvase, ein Kissen. Was ihr eben gern habt.
  • Nehmt euer Kopfkissen mit, damit ihr gut schlaft.
  • Legt das blöde Handy so oft weg wie möglich 🙂 Die Welt schafft drei Wochen ohne euch. Denn den Menschen, der euch wirklich braucht, den habt ihr sowieso dabei.
  • Fahrt, wenn möglich, nicht mit Kindern unter 2 Jahren. Viele Kliniken nehmen auch erst ab 3 Jahren auf, da es in der kurzen Kur-Zeit natürlich keine Eingewöhnung geben kann. Es geht direkt ins kalte Wasser und das ist für viele Mamas und Kinder logischerweise hart.
  • Rechnet mit 10 Euro Zuzahlung pro Tag vorab. Partner:innen können nachreisen, kosten ebenfalls Zuzahlung und müssen i.d.R. vorab angemeldet werden: Kurfremde Väter dürfen oft nicht in die Klinik, da dort auch Patientinnen sind, die vor Partnern/Kindsvätern geschützt werden müssen.
  • Und: Lasst es wirken. Lasst auch Dinge zu, die ihr albern findet (Autogenes Training z.B., oder … brks… Walken. Könnte ja sein, dass es was bringt!).

Ich werde spätestens in vier Jahren definitiv den zweiten Antrag stellen. Diesmal warte ich nicht wieder, bis ich am Boden bin. Und vielleicht ist einer der Gedanken, die ich mitnehme, dass ich hier wieder weiterschreibe. Nicht, um die reine Mutterfreude zu feiern (so wie ich es lange konnte und dann lange gar nicht mehr), aber um mich selbst wieder zu fühlen. Um zu wissen, dass ich noch was zu sagen habe in diesem Leben ❤

4 Gedanken zu “Mutter-Kind-Kur: Mach das mal, ganz ehrlich!

  1. Sofasophia schreibt:

    Liebe Sabine, ich finde es großartig, wie ehrlich und mutig du hier schreibst. Ich hoffe, die wiedergefundene Kraft und Lebensbejahung bleiben dir erhalten und ihr drei könnt wieder gelassener durch den Alltag stapfen. Mögest es dir gelingen, dir regelmäßige Inseln für dich zu schaffen. Du bist, da bin ich sicher, eine ganz wunderbare Mama!

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  2. Rebecca schreibt:

    Juchuu, ein neuer Beitrag von dir. Bin schon lange stille Mitleserin und freue mich von dir zu lesen.

    Ein Hoch auf die Selbstfürsorge. Und danke für die Tipps mit der Eltern-Kind-Kur.

    Lg
    Rebecca

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Liebe Rebecca,
      wie schön, dass du die Schreibpause überdauert hast ❤ Ich garantiere für nichts, aber ich versuche diesen Blog wieder als einen Teil der Selbstfürsorge zu etablieren!!
      Liebe Grüße (und ja, mach das mal mit der Kur!)!!

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