Warum ich heute keine Göttin sein will

Ich habe ein Lieblingsbild bei Instagram: Es befindet sich auf dem großartigen Account @4thtribodies und zeigt die 38-jährige Jennifer im Kreis ihrer vier Kinder. Auf ihrem Schoß sitzen ihre 20 Monate alten Zwillinge und stillen, während ihre 3- und 4-jährigen Töchter sie rechts und links auf die Wange küssen. Und Jennifer selbst sitzt da, aufrecht, mit Dehnungsstreifen und After-Baby-Bauch und strahlt und leuchtet. Sie sieht aus wie eine Königin, wie Mutter Erde in Person, a real goddess. 

Göttlich – genau so sollte man Mütter zeigen: Stark und lebendig in ihrer Fruchtbarkeit und Liebe. Als Zentrum des Lebens und der Familie. Und wunderschön, egal, was Schwangerschaft und Stillzeit mit ihrem Körper gemacht haben.

Denn so sind sie! Und so möchte auch ich sein. Das Foto von Jennifer schaue ich mir als Vorbild und Mutmacher an, und an vielen, vielen Tagen rocke ich unseren Alltag. Wirklich. Ich rocke wirklich alles.

Yes, I can. And I Do. Over and over again.

Ich bin geduldig, ich bin liebevoll, ich bin ausgeglichen und heiter. Ich umarme, ich tröste, ich liebe. Ich gehe arbeiten, ich organisiere eine verdammt endlose To-Do-List für Haushalt, Kind und Hausbau, ich bin das Herz unserer kleinen Familie. Der fucking Fels in der Brandung.  A real goddess.

Ich will nichts lieber sein als das. Ich bin stolz und glücklich, wenn ich den Mix aus Mama, Ehefrau und Copy Writer chamäleonmäßig hinkriege. Wenn ich bei Wutausbrüchen die ruhige Basis bin. Wenn ich etwas zu Essen auf den Tisch stelle, bei dem Mann und Fips begeistert zugreifen. Wenn ich auf der Arbeit einen guten Job mache. Wenn ich an harten Tage trotzdem die Ruhe bewahre. Und wenn bei all dem zwischen Schmutzwäsche und Kindkuscheln der Mann nicht zu kurz kommt.

Alles, OKAY. NUR Bitte nicht heute!

Aber es gibt eben nicht nur die vielen, vielen Tage. Sondern auch diese paar anderen.

Die Tage, an denen ich hormongeschüttelt bin, und schwach und wund und müde. Meine Brust schmerzt vom Dauerstillen im System-Schub, während meine Eierstöcke (ironischerweise) nach einem weiteren Baby jaulen. Dabei ist alles zu viel, ich bin erschöpft und meine Psyche ist keiner Göttin würdig.

Ich bin dann auch keine Königin. Bettlerin bin ich, maximal. Denn betteln und bitten möchte ich, dass ich nicht heiter und ausgeglichen sein müsste. Dass ich nicht halten muss, sondern gehalten werde. Dass mich einfach jemand irgendwo in eine Hängematte legt und die Herrschaft über meine kleine Welt für ein paar Stunden-Tage-Ewigkeiten übernimmt. Das wünsche ich mir.

Aber Göttinnen haben keine Pause, und Königinnen machen keinen Urlaub. Also keife und nörgle ich, werde stachlig wie Igel, bringe den Nachwuchs zum Mit-Maulen und den Mann zum Zurückschießen. Das macht es nur noch schlimmer.

Trag Dich, damit Du die Welt wieder tragen kannst.

Was helfen würde, wäre ein kleines bisschen laisser-faire für Mama. Aber wer erlaubt mir das, wenn das Kleinkind schubgestresst nach der Brust verlangt und der Ehemann Anspruch auf eine gutgelaunte Gattin erhebt? Mit dem Gefühl im Nacken, immer verlangt und verantwortlich zu sein, und der Seele in der Hormonachterbahn scheint ein Ausstieg verdammt weit weg.

Im Mama-Paralleluniversum würde ich als Göttin mit einem Fingerschnipsen sämtliche Priester vor die Tür jagen: „Schnauze, Jungs! Ick brauch‘ Ruhe!!“. Oder ich würde als Königin meinen gesamten Hofstaat einspannen: „Los, Frühstück machen! Kind anziehen! Klo putzen! Ihro Majestät gönnt sich noch ’ne Mütze voll Schlaf und geht danach in die Wanne! Lasst schon mal Badewasser ein! Vergesst die Sektflasche nicht und denkt diesmal an die verfluchten Rosenblätter!!!“ Hach, das wäre ein Leben.

Doch in der Realität komme ich als Fels nicht aus der Brandung heraus, wenn ich nicht selber die Wogen glätte. Ehemänner schießen eben zurück, wenn man ihnen nicht eindeutig sagt, dass man statt unnötiger Streiterei lieber eine Stunde Zeit für sich hätte.

Deswegen schreibe ich es hier auf. Für mich, für dich, für uns alle – für uns All-Tags-Königinnen:

Bitte umarmt uns.

Wir wollen doch nur die Gehetztheit aus unseren Gedanken vertreiben.
Wir wollen doch nur ein bisschen Nachsicht. Nur heute.
Wir wollen uns doch nur kurz einmal selbst anlehnen.

Und morgen sind wir wieder stark, versprochen. Like a real fucking goodess.

6 Gedanken zu “Warum ich heute keine Göttin sein will

  1. Vanessa schreibt:

    Dass du mir auch jedes Mal soooooooo sehr aus der Seele schreibst…nur, dass ich es nicht so brilliant formulieren könnte.

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Einer muss es ja machen 😛 Nein, Spaß… ich freu mich, wenn ich meine Gedanken in Worte kleiden kann, in denen andere sich wiederfinden. Und morgen rocken wir auch wieder, liebe Mitgöttin!!

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  2. Sibylle schreibt:

    Ich muss hier auch mal posten: dieser Blog hilft so sehr! Ich les seit Anfang Schwangerschaft mit, halte jetzt gerade das Söhnchen zum Mittagsschlaf im Arm, und immer wieder finde ich hier das Gefühl: alles gut. Anderen geht das auch so.
    Also: Dankeschön!

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Wow, da durfte ich dich ja wirklich schon auf einem ganzen Stück der Reise begleiten ❤ Das ist wirklich schön zu lesen… und noch schöner, wenn ich hilfreiche Worte finde. Du bist nicht allein (und ich auch nicht, wie gut). Liebe Grüße auch ans Söhnchen!!

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