Hauen. Sand werfen. Nicht teilen wollen. Mal ehrlich: Wie unsympathisch sind bitte diese hyperaktiven kleinen Blagen, die auf dem Spielplatz immer nur Terror schieben statt einfach zufrieden die Rutsche runter zu sausen? Können die Eltern da nicht besser aufpassen? Soll das etwa Erziehung sein?! „Das werde ich meinem Kind aber anders beibringen!“ So habe ich mir als naive Nichtmutter überlegt: Mein Kind würde ein nettes, angenehmes Exemplar – ganz klar.
Und etwa 16 Monate lang hat das auch bestens geklappt. Fips hat weder gehauen noch mit Sand geworfen, und mit ein wenig zureden hat sogar das Teilen ganz gut geklappt. Ich war ziemlich stolz auf mein freundliches, heiteres und entspanntes Kind (und auch ein bisschen auf mich als erfolgreich Erziehende).
Doch Hochmut kommt vor dem Fall, nicht wahr? Und mein Moment der Erkenntnis kam, als die Tagesmutter mir mitteilte, dass Fips den ganzen Tag über immer wieder eines der kleineren Krabbelmädchen gehauen habe. Bis die Kleine bereits zu weinen begann, wenn Fips nur auf Armlänge in ihre Nähe kam.
Au Backe.
Ich wollte im Boden versinken: Mein! Kind! Tut! Doch! So was! Nicht! Nun ja. Und ob es das tut. Fips war nach dem Babymädchenhauen erst so richtig auf den Geschmack gekommen, was die Terroraktionen anbelangte: Zwei Tage später wurde ein weiteres Baby mit Sand beworfen… was man noch als Kollateralschaden werten kann, denn Fips hat gerade erst die Fähigkeit des Sand-in-die-Luft-beförderns erlernt, von gezieltem Werfen kann noch keine Rede sein). Dass danach mit flacher Hand gehauen wurde, war allerdings kein Zufall. Und wenn, dann ein sehr gezielter und wiederholter Zufall. Mit Nachlaufen und zusammengekniffenen Augen.
Dass das Baby auch keines der gemeinschaftlich zu nutzenden Wippetiere anfassen durfte, ohne dass es Riesengebrüll gab, muss man wohl nicht mehr dazusagen.
Entschuldigung, aber ich muss da jetzt durch.
Ich musste erst mal tief durchatmen. Ich sage es nicht gern, aber in meinem Herzen kollidierte meine bedingungslose Mutterliebe mit einem Hauch objektiver Abneigung.
Und weil wir gerade bei den Geständnissen sind: Es ist nicht nur das Hauen, Beißen und Nichtteilen, mit dem wir gerade kämpfen. Es ist auch das Jaulen und Jammern ohne greifbaren Grund, das Rumkreischen und das sich wie ein knochenloser Sack zu Boden fallen lassen. Und das totalitäre NOOOOOIIIIIN-rufen zu allem und jedem.
Graaaaa!! Hilfe! Meine Mutterliebe ist das nicht gewohnt! Ja, ich wusste, dass die Trotzphase sich irgendwann mit großen pampigen Trollschritten nähern würde … doch irgendwie hatte ich doch gehofft, dass wir um diesen Entwicklungsschub herumkommen würden. Schließlich kenne ich mein Kind nur als offen und weitgehend ausgeglichen. Als nicht unbedingt geduldig, aber optimistisch. Aber wie es aussieht, ist es wohl Wunschdenken, dass das in alle Ewigkeit so bleibt.
Zum Glück, vermutlich. So sage ich mir.
Von allem ein bisschen mehr. Doppelt und dreifach.
Denn bis jetzt steckte hinter jedem noch so schlimmen Tag ein Wachstumsschub. Wieso sollte sich das plötzlich geändert haben? Sollte über Nacht aus Fips ein Tyrann geworden sein, der sich bewusst als Terrorist gebärdet? Kann ich irgendwie nicht glauben. Will ich auch nicht glauben. Also muss mehr dahinter stecken – oder viel, viel weniger.
Denn wenn ich so überlege, würde ich mich auch manchmal gern schreiend und kreischend zu Boden werfen (zum Beispiel im Supermarkt, wenn ich gern ein Ben&Jerry’s hätte und die Jeans nein sagt). Ich will auch nicht, dass jeder in meinen Sachen wühlt (vor allem kein Fremder). Und mir würden auch ein paar Leute einfallen, denen ich gern mal eins auf die Nuss hauen würde.
Mache ich das alles? Nein, das mache ich nicht. Ich kaufe brummelnd und maulend ein paar Bananen („Die sind schließlich auch süß, blablabla“), teile nur was ich will mit Freunden und Bekannten (und denke ansonsten über die Verbesserung des Einbruchsschutzes nach) und vom auf die Nuss hauen träume ich maximal nachts. Weil ich gelernt habe, mich so zu verhalten: Die Wut ist trotzdem da in mir. Genau wie Freude, Vergnügen und Zuneigung.
Alles steht Kopf.
Wenn ich überlege, dann gab es vor der Zeit der Wutanfälle auch sonst wenig große Emotionen bei Fips. Sicher, es gab Wohlbefinden und Miesepetrigkeit, es gab Bei-Mama-sein-wollen und Freiheitsdrang.
Aber vor der Wut gab es nicht diese Momente, in denen Fips einen Scherz macht und Humor erkennen lässt. Oder das reine Freudestrahlen, wenn wir uns am Nachmittag bei der Tagesmama wiedersehen. Oder die Augenblicke, wenn sich kleine Arme um meinen Hals und kleine Beine um meine Taille schlingen und ich ganz fest umarmt werde.
Das Hauen und Terrorisieren bleibt trotzdem peinlich und unangenehm – zu gut weiß ich einfach noch, wie ich mich gefühlt habe, wenn mein Baby-Fips auf dem Spielplatz von anderen Kindern Kopfnüsse und Sandregen kassierte: Da hätte ich das andere Kind samt Eltern am liebsten kopfüber in der nächsten Sandburg versenken wollen (tataaa… da ist sie wieder: die wohlerzogene Wut).
Aber damals wusste ich einfach noch nichts. Ich wusste nichts von der echten, ungezähmten, kompromisslosen Wut, die Kleinkinder schüttelt und zu Boden wirft. Ich wusste nichts von der Wut – aber auch nichts von der Liebe, die Fips nun gerade ebenfalls zu geben lernt. Die Liebe, die ich auf keinen Fall mehr missen möchte.
Ich will da sein. Jetzt erst recht.
Also versuche ich für Fips da zu sein, wenn die Wut kommt. Ich versuche da zu sein und zu zeigen, wie man die Wut bezähmt, damit man wieder aufstehen kann.
Umarmen, Ruhe und Nähe helfen zum Glück fast immer. Manchmal muss Fips erst einen Moment abqualmen und Spannung abbauen, aber dann hilft Nähe trotzdem fast immer. Ruhe, Nähe, Atmen. Halten, erklären – ja, und auch ablenken. Meistens hilft das. Wenn nicht, dann möchte ich mich selber am liebsten heulend daneben schmeißen. Denn es bleibt hart. Jedes Mal wieder.
„Bääääääh! Un-sym-pa-thisch! Terrorkind!“, brüllt die objektive Abneigung.
„Na ja, schon, vielleicht“, sagt die Mutterliebe. „Aber komm her. Ich bin da für dich. Jetzt erst recht.“
Und wenn sich dann später kleine Arme und Beine um mich wickeln und Fips sich ganz eng an mich drückt, denke ich: „Richtig gemacht.“ Und bin wieder stolz. Auf Fips, und auf die Wut. Die nicht nett ist und alles andere als angenehm, aber die mein Kind wieder ein Stückchen wachsen lässt.
Und auf mich auch.