#regretwhat oder Warum ich so lange nichts übers Muttersein schreiben konnte

In den letzten zwei Jahren habe ich hier kaum etwas veröffentlicht – und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich das erklären möchte. Ist ja nicht so, dass nichts passiert wäre. Aber da war ein Maulkorb auf meiner Schreibhand und, wenn ich ehrlich sein soll, auch auf meiner Seele. Zwei Jahre lang ging nichts mehr, und das aus verschiedenen Gründen.

1) Ein Grund, den wir wohl alle satt haben bis obenhin: Corona und der Lockdown. Obwohl es sich eine Zeit lang auch wie eine Befreiung anfühlte (kein Terminstress, die Auflösung unguter Kontakte, ein 24/7-Aufenthalt in der Comfort Zone). Die streckenweise Dauer-Kinderbetreuung war nicht unbedingt befreiend (wem sag ich das), aber sonst war es eigentlich oft ganz okay. Was ich lange nicht gemerkt habe, war die Tatsache, dass Komfortzonen schrumpfen, wenn man sie nie verlässt. Nach zwei Jahren war ich so klein mit Hut und hab mich gar nicht mehr raus getraut. Nicht mal bis zur Tastatur (abgesehen von Wortfindungsstörungen und dergleichen, die dem allgemeinen Stresslevel zugeordnet werden dürfen und sich seit der Kur etwas gelegt haben).

2) Zusätzliche lähmte mich mein eigener Leistungsdruck. Ich bin alles andere als perfekt, aber ich würde gern ein guter Mensch sein. Einer, der die Welt nicht schlimmer macht als sie ist und im Idealfall sogar ein klein wenig besser. Seitdem ich Mama bin, beschäftigt mich das sogar noch mehr – immerhin muss mein liebster Mensch ja mit dem weiterleben, was wir hier so hinterlassen. Also finde ich immer mehr Dinge, die mir schuldbehaftet durch den Kopf strudeln… erziehe ich zu viel oder zu wenig? fördere ich genug? agiere ich halbwegs nachhaltig im Alltag? schädige ich das Klima? kann ich Bienen retten? gebe ich Fips zu viel Zucker? wann reicht es mit dem Medienkonsum? sollte ich mehr Grenzen setzen, mehr auf Selbstständigkeit pochen? achte ich genug auf meine Gesundheit? lebe ich Schönheitsmainstream vor? was muss ich, was sollte ich, was könnte ich besser machen?

Instagram ist da keine Hilfe, btw. Das kleine Biest serviert ständig neue Ideen zur Selbstoptimierung, sei es das perfekte Yogatraining („Nur 10 Minuten täglich! Die hast du auch!“), No-Waste-Accounts oder Werbung fürs neue Achtsamkeitstagebuch. Aber was ich auch versuche zu beherzigen – es kommt nie der Moment, in dem ich „die“ Lösung gefunden habe und endlich durchatmen kann.

Enspanne ich mich bei der Mediennutzung und finde darin sogar etwas Frieden, schiebe ich Fips im tiefsten Inneren vielleicht doch einfach nur vor die Glotze ab, statt mich aktiv mit meinem Wunschkind zu befassen. Pflanze ich Schmetterlingsflieder, freut es zwar die Bienen – aber er verdrängt die heimische Population. Steige ich auf Hafermilch um, ist das zwar nice wegen CO2 und Tierhaltung – aaaaber mit Hafermilchpulver (oder noch besser: selbermachen!) würde ich sogar noch Verpackung sparen. Und überhaupt: Sollte Frau kurz vor 40 statt Kohlenhydratbomben nicht eher eine Eiweißquelle in den Kaffee kippen?

Wow. Niemals Ruhe. Niemals Frieden. Was soll man noch schreiben, wenn man nichts zu wissen scheint? Fuck-up ohne Ende, und alles nur, weil ich keinen Scheiß bauen will. Wer hat nochmal gesagt, dass man als Erwachsener endlich in Ruhe sein Ding machen kann?

3) Apropos mein Ding. Eins davon ist Grund 3, nämlich die sogenannte „rezidivierende depressive Episode“. Sprich, wiederholt auftauchende, sehr tief hängende graue Wolken. Die Letzte davon ließ sich Zeit, baute sich langsam und lange fast unbemerkt auf („jeder ist mal mies drauf“), ich war einfach etwas durch. Oder ein bisschen mehr. Hat jedenfalls gedauert und auch nicht gerade zum Schreiben beigetragen. Inzwischen geht es wieder aufwärts und ich bin jeden Tag dankbar, dass ich wieder die Sonne sehen kann ❤

4) Über den letzten großen Punkt denke ich schon eine Weile nach, denn dieser Grund ist mein Blog selbst. Der Blog und der vor einigen Jahren so hochgepushte Hashtag #regrettingmotherhood. Denn wie die meisten Mütter habe auch ich nicht damit gerechnet, was Muttersein alles mit sich bringt. Und vielleicht hätte ich anders entschieden, wenn mehr Mutterschaftsfakten gewusst hätte.

Ich hab immer versucht, in meinen Posts hier ehrlich zu sein und trotzdem irgendwie unterhaltsam. Ich wollte offen über Sorgen und Nöte schreiben – um zu zeigen, dass ihr nicht allein damit seid. Und damit auch ich nicht allein bin damit, mich so oft von meiner Rolle über-rollt zu fühlen. Mental Load is real und der ganze andere Struggle auch.

Aber irgendwann fand ich die Pointe nicht mehr, die ich mir selbst als Ziel eines jeden Beitrags gesetzt hatte. Ich wollte ja nicht nur jammern und jaulen, ich wollte mich selbst gesundschreiben. Wollte wieder Boden spüren, ein „solange ich noch lachen kann“, ein „so schlimm isses auch nicht“. Aber ich fand den Dreh ins Gute nicht mehr. Was blieb, war die Last. Und das Bedauern.

Meine Mutterschaft wurde Last. Kampf, Schuldgefühl und Unsicherheit. Und Bedauern.

[Ich schreibe jetzt nicht dazu, dass ich Fips mehr als alles liebe und dass ich das Letzte geben würde, um mein Kind zu schützen. Das wisst ihr selber, liebe Leserinnen – und ihr wisst, dass die Last nur deswegen existiert, WEIL es diese Liebe gibt. Sonst wär’s einem ja wurscht.]

Ich brauchte zwei Jahre und drei Wochen Ostsee, um das Gefühl der puren Last auf meinen Schultern wenigstens so weit zu verlagern, dass ich den Kopf wieder heben konnte. Nicht, dass jetzt alles easy -peasy ist: Muttersein ist und bleibt verflucht hart. Die größte Abenteuerreise von allen – und die, die sich anfühlt als käme man keinen Zentimenter vom Fleck.

Vielleicht gibt’s den positiven Twist am Ende auch gar nicht. Vielleicht wird nie wieder „alles gut“, nie wieder alles einfach. Muttersein ist wie eine Hängematte: Man stellt sich das so schön vor. Aber oft ist es verflucht schwer, überhaupt in das Ding reinzukommen und dann schaukelt es gar nicht so bequem wie gedacht. Man muss was tun, um es in Schwung zu halten, hängenlassen ist nicht.

Oder doch? Vielleicht sollten wir uns einfach mehr hängenlassen. Vielleicht ist das der Schlüssel.

Als punkiger Teenager hatte ich einen Button mit der Aufschrift „eat well – stay fit – die anyway„. Das klingt viel übrigens pessimistischer als es eigentlich ist. Machen. Sein lassen. Leben. Eat, Pray, Love – whatever. Gar nicht übel, der Gedanke, oder? Die Erde dreht sich ohnehin weiter (lassen wir ihren Zustand mal dahingestellt), wir lieben unsere Kinder trotzdem bis zum Mond, und wir versuchen das Beste. Ist das nicht genug?

[Ich gebe zu, dass mir die Idee mit der Hängematte erst kam als ich nach einem brauchbaren Beitragsbild gesucht habe. Und ich liebe Hängematten. Sie sehen meist toller aus als sie bequem sind, aber ich probiere es trotzdem immer wieder. Manchmal breche ich mir fast einen ab, weil ich denke, dass es nur mit Schaukeln perfekt ist, aber manchmal kann ich auch einfach eine Millisekunde des Lebens genießen. Und wenn ich so drüber nachdenke, ist es diese Milisekunde, an die ich mich noch ewig erinnere – nicht der Kampf, sondern dieser eine winzige Moment.]

Ich will den Moment. Mehr davon!

Und vielleicht gelingt es mir, ihn wieder öfter mit euch zu teilen. Könnte aber chaotisch werden, so ohne standardisierten Optimismus-Twist am Ende… quasi wie im echten Leben ❤

8 Gedanken zu “#regretwhat oder Warum ich so lange nichts übers Muttersein schreiben konnte

  1. Elisa schreibt:

    Danke für deinen Beitrag. Ich kam heute auf deinen Blog, weil ich nach „Abstillen mit 20 Monaten“ gesucht hab. Danke für deine Beiträge zum Thema, du hast mir sehr geholfen (obwohl ich noch am Anfang stehe). Und nun las ich deinen aktuellen Artikel hier und er berührt mich tief. Danke für deine Ehrlichkeit, für deinen Mut und danke für deine Sicht auf die Welt. ❤️

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Liebe Elisa, ich habe auch abgestillt als Fips 20 Monate alt war. Erinnere mich noch gut, dass es für mich fast schwerer war als für mein Kind… das hat sich einfach auf Papa umorientiert und ich fühlte mich plötzlich „nutzlos“. Herzliche Grüße also und dass ihr beide leichten Herzens neue Gemeinsamkeiten entdeckt (denn die kommen!)!!

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  2. C schreibt:

    Hey Sabine!! Sonne, Natur, Spazierengehen, Bewegung, (sein Nordic walking ;)). Ich bin mir sicher dann wird sich auch dein Kopf Kino ordnen und die grauen Wolken etwas lichten. Sport oder die oben genannten sachen setzen endorphine frei und tun sooop gut! Es klingt alles sehr verkopft. Versuch im Alltag jeden Tag eine halbe Stunde oder Stunde rauszukommen und ich verspreche dir ALLES wird besser, leichter, klarer ❤️❤️❤️

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Ja, jeden Tag eine halbe Stunde oder Stunde RICHTIG raus wäre der Hit. Hab den richtigen Dreh noch nicht gefunden… muss ich ehrlich zugeben. Gibt natürlich gute und bessere bzw schlechte und richtig beschissene Tage, aber ja… mal kurz GANZ RAUS wäre gut für den Kopf.

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      • Cathi schreibt:

        Eine halbe Stunde raus?? Egal wie die Situation ist. DAS ist ja wirklich das mindeste.
        Also entweder mittags in der Mittagspause sozusagen oder sobald mein Mann Feierabend hat. Wenn er im Home Office viel zu tun hatte und ich aber einfach raus musste und keine Lust hatte die letzten Sonnenstrahlen zu verpassen – hab ich auch schon mal gesagt ich bin jetzt draußen und die Maus hat 15min mausspots geschaut bevor Papa Zeit hatte. Und wäre es die halbe Stunde gewesen – egal. Deine Gesundheit geht vor.
        Ist dein Mann daheim? Bzw wann? Machst du Home Office? Kannst du die Betreuungsmöglichkeiten verlängern? Wenn du ernsthaft nicht weißt wo du eine halbe Stunde am Tag für dich nehmen kannst dann weißt du wo du ansetzen musst ❤️ Denn das ist nicht gesund und sollte nicht normal sein.

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      • Sabine Wirsching schreibt:

        Ich habe Homeoffice und keine Mittagspause. Der Mann ist in Schichtarbeit und in der Regel nicht da. Aber es sollte neben Haushalt & Shit eigentlich Raum sein, nur fühlt es sich meist nicht nach „raus“ an…

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