Mutter sein ist nach dem Kindermachen das Natürlichste auf der Welt. Sollte man denken. Vielleicht war es das auch als wir noch in Höhlen lebten und Geburt, Stillen, Kinderaufzucht einfach Teil der alltäglichen Großfamilien-Aktivitäten war. Als man live miterleben konnte, „wie man das so macht“.
Das. Dieses Mutterding.
Wenn man mit dickem Bauch rumläuft, hört man nichts öfter als „Wenn das Kind erst da ist, wird alles anders!“ Dazu wird dann meistens geheimnisvoll oder schelmisch gegrinst. Nach dem Motto: Noch freuste dich! Aber warte mal ab, du! Aber was da genau anders werden soll, das wird nie erklärt. Also denkt man sich als werdende Mama, dass man das schon hinkriegt. Bisschen Self-Care und Achtsamkeit, und Erziehungsratgeber hat man ja auch schon gelesen. Wird schon werden!
Aber dann ist das Wochenbett vorbei und man stellt fest, dass die Grinser mit ihrer Behauptung doch irgendwie recht hatten. Ich jedenfalls hatte keine Ahnung, was Leben mit Kind wirklich bedeuten würde. „Alles wird anders!“, das möchte auch ich jetzt jeder Schwangeren zurufen. Aber kryptische Prophezeiungen sind was für Schelme. Also habe ich mal versucht zu ergründen, was sich wirklich ändert, wenn man Mama wird.
1. Man ist müderer
Mindestens acht Mal Stillen pro Nacht war hier viele Monate Usus. Das habe ich gar nicht mehr registriert. Ab mehr als zehn Stillalarm war die Nacht dann wirklich scheiße und ich schwöre, dass ich mindestens zwei Mal am Wickeltisch stehend eingeschlafen bin, während ich Fips trockengelegt habe. Das war die Säuglingszeit.
Heute bin ich mehr so grunderledigt. Früher war ich in jeder freien Minute irgendwie aktiv. Wenn heute mal eine ersehnte Freistunde da ist, liege ich oft nur rum und starre stumpf auf Netflix. Oder aus dem Fenster. Mein Akku ist leer: Auffüllen, bitte. Aber eigentlich bräuchte ich dafür so etwa drei Wochen, auf einer einsamen Insel mit Vollpension und sehr weichen Betten.
Wenn kinderlose Freunde mir dann von ihren Erschöpfungszuständen erzählen wollen, möchte ich ihnen am liebsten einen High-Five geben. Mit einem Stuhl. Oder ihnen ganz muttimäßig einen guten Rat geben: Wenn du von Party, Flirts, Kino, whatever, sooo müde bist, Schatzi, dann geh heute doch heute früh ins Bett und schlaf‘ gemütlich zehn ungestörte Stunden lang! Du wirst sehen, das wirkt Wunder!! Und dann laber‘ mich nie wieder voll.
2. Erziehung ist eine Seifenblase
Konsequent und konsistent sein, jawollo. Liebevoll und bedürfnisorientiert, aber klar. Fördernd und verständnisvoll! Geduldig, natürlich! Wenn ich mir diese Worte anschaue, kann ich keines verneinen und möchte doch hysterisch kichern. Das klang alles so klar und gut, und jetzt brettert mir Kleinkind-Fips mit Karacho in die so humanistisch ausgetüftelte Parade.
Bei Baby-Fips hatte ich das große Glück, dass ich die Bedürfnisse schnell entschlüsseln und auch gut erfüllen konnte. Schlafen, trinken, Nähe – das war praktisch alles. Keine Koliken, keine Schreiattacken, keine Schlafprobleme. Ich weiß, man soll diesen Begriff nicht benutzen (und ich habe einen Heidenrespekt vor allen Mamas, die eine andere Zeit hinter sich haben), aber wir hatten ein Einsteigerbaby, wie es im Buche steht.
Doch je älter Fips wird, desto uneindeutiger oder weniger gradlinig werden die Bedürfnisse. Die Probleme des Kleinkindalters – die Banane ist durchgebrochen, der Stift ist zu lang für die Stiftebox oder die Magnetverbindungsstücke der Holzeisenbahn stehen statt auf „anziehen“ auf „abstoßen“ – muss man einer Schreiattacke erst einmal entnehmen können. Und wie kann man dann helfen? Ich will mich nicht nur noch von abgebrochenen Bananen ernähren, wir können nicht jeden Stift absägen, und ja! Die Holzeisenbahn kann man drehen! Probier mal!
Und dann sind da die Nerventest-Momente, in denen ruhig geäußerte Aufforderungen wie „Bitte bleib noch sitzen“ einfach mit einem dreigestrichenen „Nein, MACH ICH NICHT!!“ beantwortet werden. Oder im Bett noch hundert Mal wieder aufgestanden wird. Oder das Wasser aus der Flasche trotz gerade erfolgtem Umziehen doch wieder aufs Hemd gespuckt wird. Und das Ganze in unrühmlichen Gebrüll endet, weil ich an manchen Tagen einfach nicht mehr geduldig sein kann. Wie war das mit dem Ideal der freundlichen Konsequenz nochmal? Was mach ich, wenn ich nichts machen kann, weil alles Machbare dem Ideal widerspricht???*
Flucht oder Aggression, das sind die beiden Möglichkeiten, die uns der Instinkt hier zur Verfügung stellt. Mit einem Kleinkind im Haus sind beide Optionen keine Option. The only way out is through, habe ich neulich gelesen. Vielleicht ist das der einzige Erziehungsgrundsatz, der übrig bleibt.
3. Entspannen Wird zur Aufgabe
Es gibt sicher Mamas, die ihre Kinder völlig unbedarft und stressfrei überallhin mitnehmen können, einkaufen, reisen, haushalten, whatever. Ich kann es nicht. Mit Kind bin ich anders. Meine Haltung ist erdfixiert und meine Sinne immer in Habacht. Seitdem ich Fips habe, bin ich fast immer unter Spannung. Dabei ist es nicht einmal, dass ich mir um Fips Sorgen machen würde. Ich weiß, dass mein Kind gesund ist, und traue Fips körperlich viel zu. Aber trotzdem: Es ist ein Gewicht da. Ich habe das Zurücklehnen völlig verlernt.
Ich habe seit der ersten Minute auf jeden Ton gelauscht. Ich war da, als die Brust gebraucht wurde. Ich war zum Anlehnen und Hochziehen da, als Fips stehen und sitzen lernen wollte. Ich habe Fips‘ Hand gehalten bei den ersten Schritten und so vielen Schritten danach. Ich habe hunderte Kilometer im Auto überm Kindersitz gehangen, um friedliche Fahrten zu ermöglichen. Ich habe ohne Genuss nebenbei geschaufelt, weil Fips gefüttert werden musste.
Vielleicht könnte ich all das mit einem zweiten Kind situationsbedingt entspannter sehen. Oder würde es schlimmer werden? Würde ich mich noch mehr bemühen? Schließlich habe ich mich an die Habacht-Stellung gewöhnt. Aber vielleicht gewöhne ich mir mal etwas Neues an: wenn ich mich nicht niederdrücken lasse, kann ich nämlich Tag für Tag neu entdecken, was Fips schon kann und wo ich ein wenig zurücktreten darf. Wo ich nicht mehr gebraucht werde. Damit ich wieder sehen kann, wie schön und leicht die Welt oft mit Fips zu teilen ist.
Der Fipspapa zum Beispiel setzt sich auf dem Spielplatz erst mal entspannt hin statt als aufmerksamer Begleiter hinter dem Kind herzutrapsen. Wer weiß, vielleicht lerne ich das Zurücklehnen wieder – so, wie ich ab Fips‘ Geburt die Verantwortung gelernt habe.
4. Muttersein ist für immer & Die Angst vorm Versagen
Stellt euch einen Freund oder Mitbewohner vor, der euch nachts ständig aus dem Schlaf holt. Der euch die besten Bissen vom Teller mopst, einen freizügigen Umgang mit eurem Eigentum pflegt und all seine Launen an euch auslässt. Der an die einfachsten Dinge hundertmal erinnert werden muss und euch manchmal einfach nur breit ins Gesicht lacht, wenn ihr um etwas bittet.
Mal ehrlich: Solchen Mitbewohnern kündigt man und solchen Freunden schreibt man höchstens alle Jubeljahre mal eine Nachricht. Doch von Kindern kann man keinen Abstand nehmen.
Mutter ist man fürs Leben. So als Theorie und Papierwissen hatte ich das auch schon mal irgendwo gehört. Aber ich wusste nicht, wie sehr mich die tatsächliche Erkenntnis crashen würde, dass das hier tatsächlich für immer sein würde. Das alles, was ich tue oder sein lasse, mein Verhalten, meine Launen, meine Energie, Auswirkungen haben wird. So wie alles, was ich als Kind erlebte, Auswirkungen hatte.
Ich behaupte jetzt einfach mal, dass jeder von uns seine eigenen Kindheitsnarben hat. Es gibt den Gedanken des „passing of the hurt“, bei dem die ältere Generation ihre Erfahrungen und Verletzungen an die Nachfolger weiterreicht. Das können Traumata sein, aber auch einfach hinderliche Verhaltensweisen. Es gibt die Kommunikations, Konflikt- und Beziehungsmuster, die man innerhalb seiner Familie erlernt hat, und von denen man sich besonders in Krisensituationen nur schwer lösen kann.
Wenn es mir gutgeht, kann ich den Traum von Offenheit, Akzeptanz, Liebe und Optimismus gut leben. Aber wenn es in mir kriselt, kommt alles hoch, was ich eigentlich verdrängen will. Nicht schlimm, geht ja vorbei, könnte man denken. Doch was reiche ich Fips davon weiter?
An manchen Tagen, in manchen Momenten, möchte ich keine Mutter mehr sein. Die Last der Gegenwart und der Ewigkeit, der Vergangenheit und der Zukunft erdrückt mich. Freiheit – alles in mir schreit Freiheit. Doch selbst, wenn ich alle Brücken hinter mir abbrechen würde, könnte ich nicht fliehen. Ich werde immer ich sein. Immer Tochter, immer Mutter.
Und würde Fips etwas zustoßen, wäre der Sinn meines Lebens mit einem Schlag vorbei. Aber dennoch gibt es Momente, in denen ich gern davonfliegen würde. Momente mit Gedanken an nur-eben-mal-kurz-Zigaretten-holen und ein paralleles Leben, obwohl ich dieses kleine Wesen nicht mehr wegdenken kann. Fips wird groß werden, aber ich bin für immer zwei.
5. Man kann nicht mehr Hinschauen
Früher habe ich fast nur Krimis geguckt. Nicht die ganz detailreich Blutigen, aber sonst war ich doch recht schmerzfrei. Seit Fips‘ Geburt ist dieses Genre komplett von meinem Bildschirm verschwunden: Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, was in irgendwelchen irren Köpfen vor sich geht und wohlmöglich meinem Kind begegnen könnte. Auch „Alias Grace“ musste ich neulich abbrechen, weil auf dieser schrecklichen Überfahrt nach Amerika ein (nicht mal sichtbares) Baby schrie.
Dasselbe ist es mit Dokus oder bloßen Nachrichten: Dass die Welt zugrunde geht, ist mir bekannt. Aber solange es dabei bloß um mich selbst ging, kam ich damit zurecht. Was war ich schon?! Jetzt kann ich das Elend kaum noch ertragen und politische Fragen lösen regelrechte Panikattacken bei mir aus. Parallel nehmen die Wachsamkeit, der Mut und das Bedürfnis, für das Gute einzustehen, zu. Aber ich heule trotzdem mehr als früher.
6. Alles ist eine Phase
Kinder entwickeln sich irre schnell. Das bedeutet nicht nur, dass man selber im Zeitraffer alt wird. Sondern auch, dass peter-fox-mäßig ständig alles neu ist. Wenn man sich gerade auf ein Verhalten, eine Krisenlösung, ein Ritual eingeschossen hat, wird es schon wieder über den Haufen geworfen. Und man muss neu anfangen, als wüsste man gar nichts über nützliche Konsequenz, harmonische Tricks und das eigene Kind.
Aber das Gute daran ist: Auch das, was man manchmal kaum aushalten kann, geht vorbei. Die aggressive Sandschmeißzeit, die endlose Einschlafbegleitung, die besitzergreifende MEINE-MAMA-Phase… alles geht vorbei. Und vielleicht erinnern wir uns eines harten Tages sogar wehmütig daran.
7. Schluss mit der Großen Liebe
Ich rede in diesem Text nicht davon, wie die Zweisamkeit einer Partnerschaft durch ein Kind verändert wird. Aber sicher ist, dass die große Liebe zueinander nach der Geburt auf dieses kleine Menschenkind übergeht.
Das letzte Hemd, das letzte Stück Brot im Haus, den warmen Platz am Ofen, den letzten Atemzug. Keine Sekunde würde ich zögern, irgendetwas davon herzugeben, wenn es Fips dafür gut geht. Und wenn mein Kind laut und dreckig lacht, dann ist es das beste Geräusch auf der Welt. Wenn wir zusammen glücklich sind, dann weitet sich mein Herz. Wenn ich abends eine schlafwarme Stirn küsse, bin ich glücklich. Ich weiß nicht, ob das die vielbesungene überbordende Mutterliebe ist. Aber es ist mit Sicherheit etwas, das ich in Gegenwart eines anderen Menschen noch nie empfunden habe.
Alles anders & die große Frage
Würde ich es wieder machen? Tja. Die Antwort ist: Ich weiß es nicht. All diese Gründe tragen u. a. dazu bei, dass ich kein zweites Kind will. Aber würde ich auf Fips verzichten wollen?
Nein. Das würde ich nicht. Bei allem Wahnsinn ist dieses kleine Wesen doch das Beste, was ich im Leben so gemacht habe. Und es ist bis zum Ende meiner Tage meine Aufgabe, für diesen Menschen erreichbar zu sein. Und dafür das Beste aus mir zu machen. The best version of myself. Für Fips möchte ich das sein ❤
* Liebe werdende Mamas, wenn ich darauf eine eindeutige Antwort weiß, werde ich auch darüber einen Beitrag schreiben. Versprochen.