Gebären mit Schmerzmitteln: Ja oder nein?

Ich will keine Schmerzmittel bei der Geburt. Dieses Prinzip stand für mich felsenfest. Denn die großen Dinge der Welt passieren niemals unauffällig, und wenn ich mich tätowieren lasse, schmiere ich mich vorher auch nicht mit Anti-Autsch ein, sondern begrüße den Schmerz als Teil von etwas, das mir lebenslang bleibt. Verglichen mit dem Beginn eines neuen Lebens haben Tattoos wohl einen Gegenwert wie ein Ameisenpups – ein Grund mehr, mich nicht aus der Affäre zu ziehen. So war meine Auffassung: fel-sen-fest.

Bis die Hebamme bei der Kreißsaalbesichtigung sagte, dass die Frauen, die am Anfang auf gar keinen Fall Schmerzmittel wollen, am Ende alles nehmen. Alles. Ui! Wirklich? Würde diese Erfahrung etwa auch für mich gelten? Würde ich mit tapferen Prinzipien losziehen und dann hysterisch nach einer Rückenmarksbetäubung kreischen?

Ganz ehrlich: Keine Ahnung. Ich merke, dass sich bei der näheren Beschäftigung mit Geburt und Mutterwerden durchaus Ängste und Aufregungen in mir regen. Woher will ich also wissen, dass genau die nicht ausgerechnet in der Ausnahmesituation der Geburt explodieren? Wieder habe ich keine Ahnung.

Wieso will ich keine Schmerzmittel?

Aber vielleicht kann ich mir etwas anderes beantworten. Nämlich diese Frage: Wieso will ich eigentlich keine Schmerzmittel? Manche Antworten lagen klar auf der Hand, für andere musste ich ein wenig Seelenstriptease betreiben; aber das sind meine ganz persönlichen Gründe:

  • Ich will an die Geburt nicht mit der Auffassung herangehen, dass es furchtbar wird und ich es ohne Hilfsmittel nicht durchstehen kann.
  • Ich möchte mein Kind nach einer Schwangerschaft, in der ich uns beide als Partner betrachtet habe, während der Geburt nicht „allein“ lassen bzw. durch einen anderen Bewusstseinszustand von ihm getrennt werden.
  • Etwas Großes wollen und mich dann einem Teil der Konsequenzen entziehen, passt nicht zu meinem Selbstbild als (irgendwie) tapfere Frau.

Die ersten beiden Punkte sind das eine – doch spricht bei Punkt Drei nicht vor allem mein eingeübtes Leistungsbewusstsein? Ohne Fleiß kein Preis? Denn ein Fan sinnloser Schmerzen bin ich schließlich nicht: Wenn ich Kopfschmerzen habe, nehme ich auch eine Tablette.

Welche Schmerzmittel stehen zur Verfügung?

Doch bevor ich überlege, was von meinen Gründen wirklich relevant ist, sollte ich vielleicht erst einmal herausfinden, was es überhaupt an Schmerzmitteln bzw. Methoden gibt und was die jeweiligen Mittel bewirken.*

Die Periduralanästhesie (PDA)

Bei der PDA, auch Epiduralanästhesie genannt, wird die Weiterleitung von Schmerzsignalen unterbrochen. Eingesetzt wird diese weitverbreitete Methode oft, wenn die Geburt ins Stocken gerät oder die Gebärende bereits sehr geschwächt ist.

Dafür wird (ab fünf Zentimeter Muttermundöffnung) eine Hohlnadel zwischen zwei Dornfortsätzen der Wirbelsäule eingeführt. Durch einen winzigen Katheter­ gelangt das Schmerzmittel dann in den Bereich über der harten Rückenmarkshaut (Periduralraum): Hier befinden sich die Wurzeln der schmerzleitenden Nervenfasern und von hier wirkt auch das Betäubungsmittel. Bis die Wirkung einsetzt, dauert es etwa 10-20 Minuten; bei Bedarf kann das schmerzlindernde Medikament immer wieder nachgespritzt werden.

Vorteile der PDA:

  • Wirkt lokal und gelangt nicht in den Blutkreislauf.
  • Die Geburt ist weniger schmerzintensiv, aber noch „spürbar“: Die Wehen werden auf das Level einer normalen Periode gedämpft und können aktiv genutzt werden.
  • Manche Kliniken bieten einen Mechanismus an, bei dem die Frau selbst nachdosieren kann (PCEA), auch „Walking PDAs“ (ohne Bewegungseinschränkung) sind ggf. möglich.
  • Der liegende Katheter kann ggf. auch für die Durchführung eines Kaiserschnitts genutzt werden

Nachteile der PDA:

  • Übliche Verlängerung der Geburt (die Angaben schwanken zwischen 15 Minuten und bis zu drei Stunden) und häufige Notwendigkeit eines Wehentropfs.
  • Möglich sind Taubheitsgefühle, Wärmeempfinden, beeinträchtigte Muskelkraft, Blutdruckabfall, Kopfschmerzen. Oft wird auch ein Blasenkatheter gelegt, da die PDA die Blase lähmen kann.
  • Ohne „Walking PDA“ kommt es zur Beeinträchtigung der Beweglichkeit, d.h. die Geburt ist oft nur im Liegen möglich.
  • Häufigerer Einsatz von Zange oder Saugglocke bei der Entbindung.

Der Pudendusblock und die Spiralanästhesie

Beide Verfahren können bei Frauen eingesetzt werden, die noch keine PDA erhalten haben.

Für den Pudendusblock wird in der Spätphase der Geburt ein Betäubungsmittel in das Gewebe im Bereich des Sitzbeinhöckers gespritzt: Dies mildert den Dehnungsschmerz im Bereich von Scheidenausgang und Damm.

Vorteile des Pudendusblocks:

  • Wirkt lokal.
  • Der Übergang von Schmerzmitteln auf das Kind ist durch den späten Verabreichungszeitpunkt in der Regel ausgeschlossen.
  • Wesentliche Nachteile sind nicht bekannt.

Bei der Spinalanästhesie wird das Schmerzmittel direkt in den Rückenmarkskanal gespritzt und die Nadel im Gegensatz zur PDA danach sofort entfernt. Die betäubende Wirkung tritt bei dieser Methode sehr schnell ein und empfiehlt sich daher in der Endphase einer Geburt oder oder falls ein sofortiger Kaiserschnitt notwendig wird.

Vorteile der Spinalanästhesie:

  • Wirkt lokal.
  • Im Gegensatz zum Kaiserschnitt unter Vollnarkose bleibt die Mutter wach und kann gleich nach der Entbindung Kontakt zu ihrem Baby aufnehmen.

Lachgas

Das Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch ist das älteste Narkosemittel der Medizingeschichte, wird seit über 100 Jahren bei der Geburtshilfe eingesetzt und gilt als Alternative zur PDA.

Der Aufenthalt im Bett ist für die Anwendung von Lachgas nicht zwingend erforderlich, denn das Gas wird in der Regel in mobilen Flaschen angeboten. Die Aufnahme erfolgt – idealerweise kurz vor dem Höhepunkt der Wehe – über ein Mundstück oder eine Atemmaske. Die werdende Mutter löst die Zufuhr des Schmerzmittels dabei selbst per Knopfdruck. Wie stark das Mittel wirken soll, beeinflusst sie zusätzlich durch die Intensität ihrer Atemzüge.

Vorteile von Lachgas:

  • Die Gebärende bestimmt Dosis, Wirkintensität und Zufuhr selbstständig.
  • Sehr schnelle Wirksamkeit, die den Schmerz der Wehenspitzen mildert, ohne das natürlich Geburtserleben zu beeinflussen.
  • Durch die Halbwertszeit von ca. drei Minuten ergeben sich keine nachgewiesenen Schäden für Mutter und Kind, ebenso wenig wie langfristige Nach- oder Nebenwirkungen.

Nachteile von Lachgas:

  • Wirkt auf das zentrale Nervensystem.
  • Möglich sind eine künstliche (leichte) Euphorie, Dämpfung der Wahrnehmung, Benommenheit, leichte Übelkeit und Schwindel.

Opiumähnliche Schmerzmittel

Opioide (Analgetika) sind opiumähnliche Substanzen, d.h. sie wirken stark schmerzlindernd, ohne stark abhängigkeitsgefährdend zu sein. Opioide müssen sorgfältig dosiert und zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt werden. Dann sorgen sie dafür, dass das Schmerzempfinden auf den Wehenspitzen abflacht, so dass der Restschmerz wieder erträglich wird. Die Wirkung halt etwa zwei Stunden an.

Vorteile von Opioiden

  • Es dämpft die Schmerzempfindung auch bei stärkeren Schmerzen.
  • Sorgt teilweise sogar für Schlaf- und Ruhephasen

Nachteile von Opioiden

  • Durch die Wirkung auf das zentrale Nervensystem wird das Bewusstsein der Mutter gedämpft.
  • Möglich sind ein Gefühl „ wie betrunken“, Übelkeit und Erbrechen.
  • Auch das Kind wird beeinflusst und schläfrig; es kann zu Atembeeinträchtigungen kommen.

Weitere Verfahren zur Geburtserleichterung

Nicht nur Schmerzmittel sind ein Thema. Eine Geburt kann durch die Gabe bestimmter Medikamente auch vereinfacht und komplikationsloser ablaufen. Dazu gehören etwa entkrampfende Mittel (Spasmolytica), die den Muttermund zu Beginn der Eröffnungsphase entspannen sollen. Hier wird z.B. Buscopan als Zäpfchen oder Injektion verabreicht, was in der Regel keine Nebenwirkungen für das Kind hat. Die Schmerzlinderung ist hier nur ein Teil der Wirkung: Durch die Entkrampfung kann Schlaf und Ruhe möglich werden, was die Schwangere neue Kraft für die nächste Geburtsphase schöpfen lässt.

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Es müssen also nicht immer direkt Medikamente sein, die eine Geburt erleichtern. Nichtmedikamentöse Alternativen tragen ganz ohne Nebenwirkungen zu einem entspannten Ablauf bei – vorausgesetzt, die Geburt verläuft ohne medizinische Komplikationen. Zu den Verfahren gehören (je nach Klinik und Hebamme):

  • Kontinuierliche Betreuung und sowie generelle Zuwendung und Aufmerksamkeit durch Geburtsbegleiter und Partner
  • Massagen und Druck auf den Kreuzbandbereich (gegen Schmerzen im Rücken und Muttermundsbereich)
  • Wärme (als einfache Wärmflasche, Packung oder entspannendes Wannenbad)
  • Bewegung und Positionswechsel
  • Atemübungen bewusste und ruhige Atmung
  • Entspannungsübungen und Selbsthypnose (HypnoBirthing)
  • Akupunktur (besonders empfehlenswert zur Angstlinderung und Entspannung bei der Geburtsvorbereitung; während der Geburt selbst bewegungseinschränkend)
  • homöopathische Mittel (zur Behandlung von Wehenschmerzen, Unruhe, Angst, Niedergeschlagenheit und Wundschmerzen; auch schon zur Geburtsvorbereitung)
  • Bachblüten- und Aromatherapie
  • TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) zur Abschwächung von Schmerzsignalen durch winzige elektrische Impulse in den Nervenbahnen am Rücken

… und was ist nun mit meiner felsenfesten Entscheidung?

Vielleicht verhält es sich mit Schmerzmitteln unter der Geburt ähnlich wie mit all den sorgfältigen Erziehungsgrundsätzen, die man sich während der Schwangerschaft zurechtlegt: Man hat (vor allem als Erstgebärende wie ich) keine Ahnung, was auf einen zukommt und all die Pläne, die man macht, können nur Spekulation und Wunschdenken sein.

Meine Recherche für diesen Beitrag hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass mein Punkt Drei – Powerfrauen gebären schmerzmittelfrei – ziemlicher Blödsinn ist. Bei der Geburt geht es nicht darum, irgendeiner Art von Leistungsmaßstab zu entsprechen oder eine Tapferkeitsmedaille zu erringen. Mein Wunsch, unserem Kind ein guter Geburtspartner zu sein und seinen natürlichen Übergang ins Leben mit seinem Vater an meiner Seite bewusst zu begleiten, ist dagegen immer noch da. Die nicht-medikamentösen Alternativen möchte ich daher als Erstes ausschöpfen: Ich glaube an ihre Wirkung.

Doch auch Schmerzmittel möchte ich nicht mehr ausschließen. Meine Abneigung gegen Spritzen verweist eine PDA & Co. weiterhin ganz ans Ende der Prioritätenliste, und auch Opioide möchte ich wegen der Nebenwirkungen für das Kind vermeiden.

Aber Lachgas würde ich pauschal nun nicht mehr ablehnen, wenn ich entgegen aller Wunschgedanken so sehr am Ende sein sollte, dass ich unser Baby nicht unterstützen kann. Denn letztlich geht es um dieses kleine Wunder und seinen friedlichen Eintritt in die Welt. Diesen friedlichen Eintritt möchte ich uns dreien gern schenken und das wiegt schwerer als jede noch so fel-sen-fes-te Überzeugung.

* Welches Schmerzmittel für welche Frau (nicht) geeignet ist, thematisiere ich hier nicht: Das fällt eindeutig in den Beratungsbedarf von Hebammen und Ärzten.

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