Mein Kind mag nicht, was ich mag! Warum das ok ist – und trotzdem Kampf.

Samstag, Sommer, Straßenfest: Ich freue mich sehr drauf, mit Mann und Kind einen entspannten Abend mit Live-Musik und idealerweise ein bisschen Kontaktvertiefung zur Nachbarschaft zu verbringen. Denn wir leben zwar seit fünf Jahren hier auf dem Dorf, aber es ist eben immer noch mehr ein auf dem Dorf statt in dem Dorf.

Ich freu mich – Fips fängt pünktlich zum Losgehen an zu meckern. Weg zu weit, Musik zu laut, mir ist langweilig, ich will nicht, Kuchen schmeckt nicht, gnarz-gnarz-gnarz. Genörgel in einer Tour.

Ich bin eigentlich für verständnisvoll und bindungsorientiert. Aber nicht jetzt. In diesem Moment will ich die Dinge am liebsten autoritär regeln. Kann sich das Kind nicht einfach zusammenreißen, dem Abend eine Chance geben und  verdammt noch mal dankbar sein, für dieses potenziell schöne Erlebnis? Häh? Nein?! Doch! Los!!!1!  Ich werde sehr schnauzig, Fips nölt unbeeindruckt weiter.

Der Fipspapa bleibt ruhig, nimmt sich das Kind und geht mit ihm zurück nach Hause. Ich stehe allein auf dem Fest, trinke mein Glas leer und bin… frustriert. Enttäuscht. Auch wütend. Ich hatte mich doch so gefreut, diesen Abend mit Fips zu teilen! Warum zur Hölle…?

Erschöpft vom Motivations-Workout

Diese Situation ist nur ein Beispiel. Es passiert oft, dass ich Lust auf etwas habe und Fips auf keinen Fall dazu zu bewegen ist, an diesem Etwas Spaß zu haben (zumindest nicht per se).

Es pumpt mich komplett aus, dass ich bei den meisten Unternehmungen, die ich auch schönfinden würde, inzwischen vorab ein komplettes Motivations-Workout absolvieren muss. Es macht mich schon vorab so erschöpft, dass ich die Dinge entweder alleine mache. Oder einfach gar nicht.

Allein ist neu, denn Fips ist erst seit kurzem alt genug dafür. Allein ist auch nett, weil ich dann frei atmen kann und keine Stimmung außer meiner eigenen zu koordinieren habe. Allein ist aber auch scheiße, weil wir dann kein „Zusammen“ haben.

Denn Allein ist etwas, was ich viel zu gern mache. Allein ist etwas, das Überwindung braucht, um es zu teilen – und was mir bei Ablehnung wie ein Schlag vor den Kopf gibt. Ich will dir endlich mehr von mir geben, wieso willst du das nicht haben?

Gar nicht ist sowieso scheiße. Gar nicht macht einsam, traurig und wütend. Gar nicht macht obendrein Schuldgefühle, denn es führt dazu, dass mein Kind weder selbstverständlich Rad fährt, noch irgendeine fördernde Aktivität besucht oder gemeinsam mit mir ein buntes Leben lebt. Gar nicht macht mich zu einer schlechten Mutter unter grauen Wolken, so fühlt es sich an.

Das Ding mit dem freien Willen

„Ist doch okay“, sagt der Fipspapa. „Gibt halt kontra, wenn sich die Persönlichkeit entwickelt. Wird auch wieder anders.“ Er sieht das irgendwie entspannter. Er hat auch kein Problem damit, wenn Fips sich zur Persönlichkeitsbildung vorzugsweise jeden Tag nur Netflix und Süßkram reinziehen will.

Abgesehen von diesem ständigen Mittelwegs-Gerangel zwischen meiner biologisch abbaubaren Aufzucht und seiner Medien-und-Zucker-Normung: Ja, Persönlichkeitsbildung. Ja, eigene Meinung. Theoretisch verstehe ich das.

Und dann kickt doch wieder meine eigene Erziehung: Man muss familiär in der Spur laufen, innerhalb der Regeln funktionieren, sich zusammenreißen. Oder?

Lass ich mir auf der Nase rumtanzen, wenn mein Kind vom Straßenfest lieber wieder nach Hause geht – oder ist es erlaubt, wenn Fips dieses Erlebnis einfach nicht haben will?

Ich will doch nur, dass du es gut hast!

Wenn mein Vater erzählt, dass seine Mutter ihn an die Uni zwang, weil sie selbst immer hatte studieren wollen, finde ich das übergriffig. Wenn Fips mein Straßenfest nicht will, bin ich wütend.

Vor meinem inneren Auge erscheinen die Dorffeste in meiner Kindheit – wie ich mit den anderen Kindern ums Osterfeuer renne, wie wir uns beim Weihnachtsmarkt am Denkmal verstecken, und wie hinterher meine Jacke voller Schafsköttel ist, mit der wir uns beim Hügelrunterrollen im Dunkeln paniert haben. Ich sehe uns vor der Dorfkapelle herumhopsen, rieche Bratwurst und spüre die staubige Sommerhitze beim Schützenfest. Ich will, dass Fips auch solche Erinnerungen hat.

Und ich will noch mehr.

Break the circle – and fix your heart

Ich will den Streit und den Streit nicht, der zur Entwicklung dazugehört: Ich möchte irgendwie, dass mein Kind sein Ding machen lernt, ohne gegen mich zu sein. Ich will auch nicht, dass andere Leute uns für Freaks halten, weil unser Kind an Dingen, die andere Kinder offenbar glücklich machen, keinen Spaß haben will.

Aber vielleicht liegt das daran, dass ich meinen eigenen Standpunkt nie richtig gefunden habe, weil ich mich immer auf den vorgeschrieben Platz setzen musste.

Ich sollte auch nicht vergessen, dass Fips mein Kind ist. Und mein ist auch die heftige Abneigung gegen feste Termine, gegen fremde Geräusche, gegen Müssen. Es wäre schön, wenn Fips diese Stolpersteine umgehen könnte – ich würde mir wünschen, dass manches für Fips leichter wäre als für mich.

Aber! Was wäre aus mir geworden, wenn ich als Kind mich weniger hätte zusammenreißen müssen? Wenn ich hätte meckern dürfen und mindestens ein Elternteil dabei zu mir gestanden hätte? Was wäre, wenn Fips’ Ablehnung bei mir nichts triggern würde und ich ein Nein einfach wertfrei behandeln könnte?

Ich fahre bis heute nicht gern oder gut Fahrrad. Ich habe kein Vereinshobby. Mein buntes Leben findet sehr oft allein für mich statt und oft fällt es mir schwer, meine Komfortzone zu verlassen. Und doch bin ich eigentlich okay (und irgendwann werde ich statt „okay“ vielleicht endlich „gut und genug“ sagen).

Und eigentlich ist das genau das, was ich Fips JETZT wünsche: Dass mein Kind weiß, dass es gut und genug ist. Egal, was ich will oder was ich erwarte. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben, wir werden überleben. Nicht ohne Kampf, nicht einfach so, und sicher nicht (nur) harmonisch. Aber vielleicht mit mehr Zusammen als ich es mir vorstellen kann.

PS: Was das Kind übrigens als gemeinsame (ungeplante) Unternehmung völlig toll fand, war der Folgeabend, an dem wir mit dem Fipspapa einen halben Eimer Katzenkacke aus dem Sandkasten siebten. Diese Erinnerung wird überleben (auch bei mir), und eigentlich kommt das meinen Schafskötteln – zumindest materiell – sehr nahe.

2 Gedanken zu “Mein Kind mag nicht, was ich mag! Warum das ok ist – und trotzdem Kampf.

  1. Katlo schreibt:
    Avatar von Katlo

    Ich vermute einfach, dein Fips kommt ganz viel nach dir (wie du im Text schreibst – nicht festlegen) und eben auch nach seinem Papa, der so einem Dorffest vielleicht nicht gerade viel abgewinnen kann und es dem Fips eventuell unbewusst vorlebt, dass eine Teilnahme dort nicht so wichtig/erquickend/… ist?

    Nur ne Frage, keine Antwort

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    • Sabine Wirsching schreibt:
      Avatar von Sabine Wirsching

      Nach mir und meiner in dem Alter sehr typischen Verweigerungshaltung kommt Fips auf jeden Fall… und vielleicht kam unsere eigene „Verlorenheit“ bei diesem Dorffest noch dazu o.O Auch das eher ne Frage als ’ne Antwort… liebe Grüße!

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