Ich bin hässlich!, sagt mein Kind.

„Ich bin hässlich!“, das sagt Fips manchmal und es bricht mir das Herz.

Mein Kind ist vielleicht der einzige Mensch, den ich als perfekt empfinde. Nicht, weil alles an Fips einem Schönheitsideal entspricht. Sondern, weil dieser kleine Mensch einfach perfekt ist. Alles ist richtig an meinem Kind. Und zwar ganz genau so, wie es ist. Mit allem.

„Ich bin hässlich!“ Jedes Mal überfordert mich dieser Satz. Und das aus so vielen Gründen! Ich finde Fips nicht hässlich, sondern wunderschön. Ich möchte, dass Fips seine Schönheit auch sehen kann. Ich wünsche mir, dass Fips nicht wie ich noch mit 40 mit dem eigenen Körper kämpfen wird. Ich wünschte, Schönheit würde überhaupt eine weniger wichtige Rolle spielen oder ein vielfältigeres Gesicht haben. Ich möchte weniger Gewicht auf Äußerlichkeiten legen und innere Kostbarkeiten mehr zählen lassen.

Ich fühle die Last, diesen Wertewandel wenigstens ein Stückchen weit durch meine Erziehung auf den Weg zu bringen. Fips soll in den Spiegel schauen können und mehr sehen. Und ich fühle, wie ich bei mir selbst daran scheitere, wie ich selbst im Spiegel nichts als die „Fehler“ sehe, und schon geht’s los mit der Abwärtsspirale. „Ich bin hässlich.“ Das setzt alles auf Anfang.

Woher kommt das Gefühl, hässlich zu sein?

Fips hat Adleraugen, die alles genau beobachten, jedes Detail bemerken, und vor dem eigenen Körper nicht haltmachen. Da wird auch alles bemerkt, was besonders ist und unverwechselbar macht. Ein Leberfleckchen, zum Beispiel. Dabei sind sie in unserer Familie nichts „Besonderes“: Ich hab ’ne Menge davon (ein paar der kleinen Pünktchen haben Fips und ich sogar gemeinsam) und der Fips-Papa ebenfalls.

Bei mir seien sie auch nicht „hässlich“, sagt Fips. Doch werden – man kennt es – beim eigenen Körper andere Maßstäbe angelegt. Der muss „perfekt“ und „makellos“ sein, um als okay durchzugehen.

Vorübergehende Erleichterung brachte ein kleiner Exkurs in den Barock: Vom Sonnenkönig erzählte ich, und dass der sich samt allen Hofdamen und Prinzen bei Fips‘ Pünktchen vor Bewunderung gar nicht mehr eingekriegt hätte. Dass Prinzessinnen sich Punkt für Punkt begeistert abgemalt oder künstlich aufgeklebt hätten, um auch nur ein bisschen so schön auszusehen! Fips‘ Augen leuchteten. Zum ersten Mal wurden die Pünktchen voller Liebe betrachtet. Neidische Prinzen, meine Güte!! Was’n Ding!

Hätte mir auch fast das Herz gebrochen, dieser Blick.

Kurz war ich dem französischen Adel grenzenlos dankbar für seine Macken. Dabei waren die Herrschaften damals ja damals nicht weniger bekloppt als wir heute. Sie hatten zwar kein Instagram, aber trotzdem Influencer… außer, dass es damals um adlige Pockennarben und Schönheitspflästerchen und nicht um makellos gefilterte Teints ging, hat sich also bis heute nicht viel geändert.

Körper sind toll… oder?

Ich versuche, Fips und gleichzeitig mich von Körpernormalität zu überzeugen, und werde dabei fast schizophren. Eins der häufigsten Komplimente, die ich bekomme, ist: „Mama, dein Bauch ist so weich! Deine Arme sind weich und deine Brust auch!“, dann nicke ich dazu und erkläre, dass das so ist, weil ich ein Mensch bin (ergo: nicht aus Stein) und dass mein Körper durch die Schwangerschaft extra-soft gemacht wurde, damit ein Kind damit kuscheln kann. Fips findet das gut: „Du hast die schönste Kuschelbrust auf der Welt!“. Weichheit ist bei Mama genauso positiv besetzt wie bei einem schmusigen Teddybären.

Ich gebe Weichheitserklärungen und nehme Fips‘ Komplimente an – oder versuche es. Erinnere mich daran, dass ich tatsächlich nicht aus Stein gemeißelt wurde. Dass sogar gestählte Yogabodies aus Fleisch und Blut bestehen. Dass weich auch schön sein kann, und gut. Dass ich meine Hautfalten habe, damit ich mich verdammt noch mal bewegen und dieses Kind nicht nur kuscheln, sondern auch heben, jagen und tragen kann.

Und dann stehe ich doch wieder vorm Spiegel und sehe all das, was anders sein sollte. Wie? Weiß nicht genau. Photoshop wüsste sicher ein paar Antworten. Aber das echte Leben sieht wortwörtlich anders aus. Wann kapiere ich das endlich und lasse mich selbst in Frieden?!

Manchmal klappt es. Wenn ich nicht Instagram anschaue, sondern echte Frauen. Im Hamam, am Strand oder einfach in großer Zahl. Dann sehe ich, dass ich eine von vielen bin. Aber andere Frauen sind so rar, wenn man so lebt wie ich. Körperbewusstsein, Vorbilder und Realität sind so rar, wenn man so lebt.

Wie geht Körperbewusstsein?

Aber auch, wenn ich vermutlich für immer meine eigene Baustelle bin, was kann ich jetzt für Fips tun?

Ich wiederhole (für uns beide), dass Körper alles sein können. Groß, klein, dick, dünn, alt, jung, männlich, weiblich, beides oder nichts davon, mit zwei Beinen und Armen oder weniger davon. Blind, taub, stumm, hell, dunkel und alles dazwischen. Und das das auch gut so ist, richtig und gleich viel wert. Generell weiß Fips das auch.

Aber was mach ich, was sage ich, wenn es wieder heißt: „Ich bin hässlich“? Was macht ihr, was sagt ihr, um eure Kinder fühlen zu lassen, dass sie perfekt sind – genau so, wie sie sind?

Ich möchte so gern was tun.

NACHTRAG: Das Thema Schönheit ist komplex, oft belastend und tief in unserer Kultur verwurzelt, gerade bei Frauen und Mädchen. Aus meinen Struggles in diesem Bereich ist inzwischen ein größeres Projekt entstanden. Schau doch mal rein bei “Wir sind schön„!

9 Gedanken zu “Ich bin hässlich!, sagt mein Kind.

  1. Anna schreibt:
    Avatar von Anna

    Ich fühle mit dir! So sehr, mir gehts manchmal ähnlich. Und doch muss ich immer daran denken, dass wenn man es nicht wirklich ernst meint mit bestimmten Aussagen, Meinungen etc, die Kinder das direkt durchschauen. Sie kennen uns einfach zu gut! Also könntest du denke ich der Schlüssel dazu sein. Ich halt mich von vielem Social Media Kram bewusst fern, weil da sowieso alles zu perfekt dargestellt wird und es nur wenige gibt, die sich wirklich echt zeigen.
    Aber manchmal findet man Menschen, wie Jana Crämer, die einen mit einer wundervollen Ausstrahlung zeigen, dass das körperliche überhaupt nicht wichtig ist. Ihr Lachfalten hätte ich so gern.
    Oder die Künstlerin Volane, die jeglicher Provokation ins Gesicht lacht, ihre Schlagfertigkeit und entspannten Blick auf die Welt würde ich gern haben.
    Ich geh gern in die Sauna: da sind wir alle wir selbst, und selbst das beste Makeup hält dem Schweiß nicht stand,und Schmuck und Haarteile einfach nur lästig und vollkommen überflüssig.

    Ich hoffe und wünsche Dir, dass du deinen eigenen Weg findest dich zu akzeptieren , und dich als eine so tolle und wundervolle Frau zu erkennen, die du bist!
    We so tolle, wahnsinnig selbst reflektierende und intelligente Texte schreibt, und ganz offensichtlich die tollste Mutter für den kleinen Fibs ist, hat von sich aus eine tolle Aura: und der schö?ste Körper ist absolut NICHTS ohne eine Ausstrahlung… und die kommt nun mal von innen. …sonst wären wir einfach nur hübsche Schaufensterpuppen ohne Nachfolgen und Strahlen in den Augen.
    Fühl dich gedrückt💜

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    • Sabine Wirsching schreibt:
      Avatar von Sabine Wirsching

      Liebe Anna, vielen lieben Dank für deine herzlichen Worte!! Ich denke viel daran herum, wie ich mein eigenes Selbstbild ändern kann, um ein gutes Vorbild sein zu können (verdammt, dass Kinder auch immer gleich ZWEI Baustellen aufreißen müssen…). Wäre schön, wenn wir beide daran wachsen können (und Sauna ist wirklich kein schlechter Weg dorthin). ❤

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  2. Ina Schulze schreibt:
    Avatar von Ina Schulze

    Liebe Sabine, das wichtigste vorweg,das Kind sieht, spürt und ahnt Deine eigenen Zweifel.
    Es helfen immer verschiedene Dinge, mein Kind hat auch Sonnenpünktchen, durch einen Unfall sichtbare Narben an den Beinen und hat sich nicht, wie andere Kinder zeitig geschminkt, wurde also von außen, von Klassenkameradinnen definiert.

    Vielleicht hilft es, den Fokus vom Körper und den vermeintlichen Fehlern wegzunehmen und auf das zu schauen, was Dein Kind und Du können. Zusammen backen und kochen, Geschichten erfinden, balancieren, durch den Wald kriechen, still sein, um etwas zu beobachten, zu Musik tanzend den Körper verrenken, Grimassen vor dem Spiegel schneiden, mit Farben matschen, Kunstwerke entwickeln, das Fahrrad reparieren, Nachbarn den Einkauf nach Hause (vor die Eingangstor) bringen, zu unmöglichen Zeiten herumpfeifen, unbekannte Worte und Bedeutungen erfinden, mit Holz ein Bauwerk erschaffen, Fingerhäkeln oder Wolle kordeln, die Knäule kreuz und quer überm Bett anbringen und da Schätze drin verbergen, schnitzen….
    Das Kind sollte sich als kreativ-schöpferisch empfinden, ein bisschen crazy, fröhlich und unbeschwert.

    Und wenn Du all diese verrückten Impulse selbst liebst und mitmachst, vertreibt das ein bisschen die Schatten aus Eurem Leben.

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    • Jana Osinski schreibt:
      Avatar von Jana Osinski

      Liebe Sabine, ich kenne diese Situationen auch und bin manchmal ähnlich hilflos. Ich versuche dann einfach ehrlich zu sein und oft hilft auch einfach Lachen. Lachen über den wackelnden Bauch oder die Winkearme – die sind ja fast Flügel 😉 Besonders wohltuend ist es, sich die kleinen Videos von Celeste Barber anzuschauen, die den Instagram-Wahnsin so herrlich ungeschönt mit der Realität vergleicht. Meine Tochter und ich lachen uns immer kringelig und finden dann, dass es eigentlivh voll toll ist, so zu sein, wie man ist. Liebe Grüße, Jana

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  3. Julia schreibt:
    Avatar von Julia

    Hallo! Mein Kind ist ähnlich. Sie findet sich auch oft hässlich. Ich könnte dann verzweifeln und heulen. Mach ich aber nicht. Was uns ein bisschen geholfen hat, ist das Buch „Körper sind toll“ von Tyler Feder aus dem Zuckersüß Verlag (hat auch tolle andere Bücher). Vielleicht hilft Euch das ja auch.

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    • Sabine Wirsching schreibt:
      Avatar von Sabine Wirsching

      Hallo Julia, das haben wir auch! Es wurde auch mit Interesse durchgeblättert und einiges gefragt und generell alles neutral „akzeptiert“… aber eher distanziert, so dass es für den eigenen Körper scheinbar (noch) nicht gilt. Vielleicht braucht es auch nur die berühmten drölfzig Wiederholungen, damit es sich festsetzen kann… aber aus eigenem Antrieb werden immer lieber „ideale“ statt diverse Inhalte konsumiert. Trotzdem danke für den Tipp, das Buch ist toll! Liebe Grüße ❤

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