5 Minuten im alten Leben

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle von meinem zweiten Friseurbesuch in der Zeitrechnung n.F. (nach Fips) und den Lesungen zu meinem Roman „Drei Worte“ erzählen, und wie schön es war, mal wieder ein paar Stunden lang nur für mich zu haben.

Aber irgendwie tue ich mich mit dem entsprechenden Text dazu schwer. Er liest sich langweilig, zum Steinerweichen öde. Was soll ich auch berichten? Dass ich beim Friseur zweieinhalb Stunden lang allein auf einem Stuhl saß, niemand in mein Gesicht patschte und nicht mal jemand an meinen frei und lang herabhängenden Haaren zerrte? Dass mein Kind mich mit aufgefrischter Haarfarbe erst mal gar nicht erkannte und mit offenem Mund nach der richtigen Frau zur Mama-Stimme suchte? Oder dass ich bei der Lesung eine Dreiviertelstunde lang ohne Unterbrechung und Ritsch-Ratsch Buchseiten umblätterte? Und dass ich dort zwischendurch einiges an Muttermilch in ein versifftes Clubklo abstreichen musste, weil mir beim Umarmen langvermisster Freunde beinahe die hocherfreute Mutterbrust explodierte?

Ja, vielleicht könnte ich davon erzählen. Denn so war es, und so war es gut. Wunderbar sogar (und das mit der Milch im Klo hatte ach irgendwie was von Rock’n’Roll). Doch je mehr ich darüber nachdenke, ob das allein reicht, desto klarer wird mir, dass ich wohl eher über das Vermissen schreiben will. Über Verlust, und über Gewinn.

Vom Gewinnen

Gewonnen habe ich alles. Ich habe ein wundervolles Kind, das lacht und kichert und kerngesund ist, das brabbelt und quiekt und hopst und mit Brötchenresten und Gurkenkernen um sich schmiert, dass es eine wahre Freude ist. Jeder Gedanke an Fips macht mich froh. Jede Minute mit Fips macht mich glücklich und schenkt mir mehr als ich jemals war. Für nichts in der Welt möchte ich dieses fröhliche, aktive Bündel Mensch hergeben. Nichts kann dieses kostbare, kleine Wunderwesen aufwiegen. Nichts. Ein gurgelndes Lachen, ein „Me-me“, ein Leuchten dieser strahlenden Augen und die Welt ist gut.

Vom Verlieren

Doch diese – meine – Welt ist ganz schön klein geworden (im wahrsten Sinne des Wortes, obwohl dieses klein jeden Tag wächst). Verloren habe ich in den letzten Monaten so einiges. Ein paar Kilos Babyspeck waren dabei, und etliche Nerven. Denn ich habe Geduld, aber manchmal muss ich alles zusammennehmen, was ich habe (und ein bisschen mehr).

Zwischenfrage: Haben Väter es manchmal leichter? Können sie unbekümmerter zwischen den Zeitphasen von „kümmern“ und „nicht kümmern“ wechseln? Ich kann das nicht: Für mich gibt es nur den Mamamodus.

Im alten Leben war ich sogar zuerst und vor allem ein Schreiber (oder eine Schreiberin, meinetwegen): Mein letztes Buch habe ich nach Bekanntgabe des ETs mit ziemlich viel Disziplin und am Ende fast im Schweinsgalopp fertiggestellt – 14 Tage vorm offiziellen Termin war ich fertig. Aber ganz ehrlich: Vorher, mit einem halbfertigen Manuskript, hätte mich auch keiner in den Kreißsaal bekommen.

Vier Jahre habe ich an dem Roman gearbeitet, manchmal förmlich darin gelebt. Jetzt lebe ich im Fips-Rhythmus: Das Kind wird nicht inmein Leben eingepasst, sondern ich forme mein Leben neu nach dem Rhythmus von Schläfchen, Baden, Füttern und Entertainment. Und zwischen Dauerstillen und Schlafentzug vergesse ich die Existenz des Romans manchmal… ich vergesse meine eigene Persönlichkeit, meinen Humor, mein Ich. Ich bin dann einfach nur noch. Mit aller Liebe, aber im Zombiemodus.

Glück im Unglück… oder umgekehrt?

Bin ich unglücklich als Mama? Auf keinen Fall. Ich bin es gern, mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut (und Milch) und jeden einzelnen Tag.

„First“ werde ich mich immer um Fips kümmern. Aber all das macht ungleich viel mehr Spaß, wenn man dabei immer noch man selbst ist.

Und so habe ich das Lampenfieber meines freien Abends genossen, die Small Talks mit langvermissten Menschen, das Scheinwerferlicht, den Dunst aus Bier und Tanzschweiß in der Luft, die Stille zwischen den Worten und das Gefühl, 45 Minuten lang völlig frei zu sein. Nur der Roman, Berlin und ich: Große, große Liebe.

Aber vergessen habe ich meinen Fips nicht (es haben auch viel zu viele Leute danach gefragt), und ich gebe es zu: Die letzten 30 Minuten meiner Drei-Stunden-Freiheit habe ich im Minutentakt auf die Uhr geschaut und mein Räuberchen mit seinem Popcornduft vermisst. Es war wunderschön, mein Fipslein wieder in die Arme zu schließen (und den Fipspapa auch, denn der hatte eine Drei-Stunden-Hölle hinter sich… oder doch auf jeden Fall reichlich Fegefeuer).

5 Minuten Freiheit

Ich bin Schreiber. Ich bin Mama. Und ich hoffe, dass ich beides eines Tages wieder richtig vereinen (der Blog zählt so mittel) und vielleicht noch ein Buch machen kann. Aber. Meine fünf Minuten Freiheit fand ich gestern ganz plötzlich und unverhofft – nämlich bei der Thai-Massage: Während eine winzige 40-Kilo-Schmetterlingsfrau sich mit Elan an mir zu schaffen machte und ich nur darauf wartete, wann mein Rückrat das nächste Mal krachen würde, vergaß ich alles. Schlafentzug. Rabäh. Windelpuh und Zähnchenweh. Das Schreiben. Und sogar mich selbst.

Wow, tat das gut.

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2 Gedanken zu “5 Minuten im alten Leben

  1. Bettina schreibt:

    Wow, Danke für diesen offenen und ehrlichen Beitrag! Genau so fühle ich mich auch öfters. Ich bin kein Schreiber, aber ein Handwerker (Physiotherapeut) aber auch zu 150% Mama. Ab und zu überkommt mich die Sehnsucht nach Ordnung und geregelten Abläufen und wenn ich dann mal wieder die Gelegenheit bekommen, jemanden zu behandeln, tut das so gut, das ich mich danach wieder mit voller Energie ins Mama-Dasein stürzen kann!

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Man muss von Zeit zu Zeit einfach mal nur man selbst sein dürfen, genau! Das unterschätzt man manchmal ganz schön… und mir fehlt es auch oft. Vor allem, weil man die Momente mit Baby dann auch wieder richtig genießen kann 🙂

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