In der Woche vor dem Einleitungstermin habe ich viel Yoga gemacht und meinen Atem geübt. Während der beginnenden Geburt hatte ich die Stimme der Yogaübungsleiterin im Kopf – ein Stückchen Vernunft in Gegenwart des Tieres, was nach der Eröffnungsphase aus mir herausbrach.
Eigentlich wollte ich nach dem zweiten CTG wieder spazieren gehen, um die Wehen weiter zu mobilisieren. Doch mein Körper verlangte nach Ruhe und zum Glück gab ich nach. Denn oben in meinem Zimmer ging es los: „Wie ein Tier“ hätte ich mich auf dem Bett vierfüßig im Kreis gedreht, sagt der Fipspapa später, „wie ein Tier, das die Umgebung sichert“.
Tatsächlich fühlte ich mich in diesem Moment wie eine Tigerin im Käfig: unfassbar stark. Und gefangen. Jetzt – nur ein paar Tage später – schon nicht mehr beschreiben, wie sich Wehen anfühlen: Aber ich konnte sie nur im Vierfüßlerstand ertragen, schaukelnd. Eben so wie ein Tiger, der rastlos am Gitter seines Käfigs auf- und abläuft, um das, was ihn im Innersten zerreißt, erträglich zu machen.
Etwas in mir sagte: Durch die Nase einatmen, durch den Mund aus. Durch die Nase ein, durch den Mund aus. Dieses Etwas blieb auch zum Glück während der gesamten Geburt präsent wie eine Insel aus stiller Vernunft in einem tobenden Ozean. Und ein anderes Etwas sagte: Schrei. Mach Geräusch. Dir ist alles egal, wenn es nur hilft. Auch dieses Etwas blieb, allerdings nicht wie eine Insel, sondern eher wie der entfesselte Krake. Und ich wusste nicht, wie verdammt LAUT ich sein kann! Aber noch war es nicht so weit, noch war es eher Stöhnen zu nennen.
Aber damit ging es. Der Fipspapa massierte mir den Rücken und in meinem schaukelnden Halbnebel nahm ich wahr, wie mir ein warmes Kirschkernkissen auf den unteren Rücken gelegt wurde. Die Ablenkung durch die Hitze tat gut, doch ich war mit geschlossenen Augen bereits halb in andere Welten abgetaucht.
An den Weg zum CTG um 16 Uhr erinnere ich mich bruchstückweise. Wehen vorm Fahrstuhl. Wehen im Fahrstuhl. Wehen auf fast jedem Meter in dem langen Gang zum Kreißsaal. Immer wieder Haltestangen oder den Fipspapa umklammern, vorbeugen, von einem Bein aufs andere tretend, mit dem Etwas Vernunft im Kopf: Atme.
Der Krake erwacht
Unangenehm war ab jetzt alles, zu dem ich mich auf den Rücken legen musste, statt vierfüßig zu schaukeln. Das CTG zeigte nun deutlich Wehen, allerdings sehr unregelmäßig stark und daher ineffektiv. Es folgte daher ein krampflösendes Buscopan-Zäpfchen (keine Premiere, schließlich gab es in Kindheitstagen Fieberzäpfchen, aber ich hatte in den letzten 30 Jahren vergessen, dass auch das so eine Hintertürsache ist).
Anschließend bot mir die Hebamme an, mich in der Wanne etwas zu entspannen, da Wärme wie vom Kirschkernkissen mir ja offenbar gut täte. Sehr gern: Bereits auf dem Zimmer hatte ich gefühlte zehn Stunden unter der heißen Dusche gestanden, bevor der Tigermodus übernommen hatte.
In der Wanne war es auch wirklich schön. Ich genoss die Wärme, konnte mit dem Fipspapa scherzen und gemeinsam mit ihm (festgekrallt an seine Hände) alles veratmen, was kam. Zwischendurch sollte ich zwar husten, um den herztonmäßig allzu entspannten Fips zu wecken, aber sonst war alles gut. Es gibt sogar ein Foto, auf dem ich buddhagleich (ultimativ kugelbäuchig, entspannt und lächelnd) einen Powerriegel esse.
Etwa um 17 Uhr, also ein paar Minuten nach diesem Bild, brach jedoch der Sturm los. Oder anders gesagt: Die Fruchtblase platzte. In mir gab es etwas wie einen Peitschenknall, Fips erschrak, ich erschrak und in mir tobte der Krake. Aus Stöhnen wurde übergangslos Brüllen. Ich war wirklich laut. Aber ich hätte es nicht anders zu verarbeiten gewusst und wie gesagt: An diesem Tag durfte mir alles egal sein. Atme, sagte ein Etwas – schrei, sagte das andere. Beides half. Irgendwie.
Oh Gott, Entschuldigung!
Jedenfalls lockte meine Geräuschkulisse die Hebamme in den Raum und gemeinsam mit dem Fipspapa wurde ich in drei Anläufen aus der Wanne geholt. Draußen angekommen, kniete der Fipspapa gerade vor mir, um mir meine Flipflops wieder anzuziehen, da flipflopte eine blutige Ladung Fruchtwasser aus mir heraus. Ich: „Oh Gott, entschuldige!“ Er: ein prüfender Blick zur Hebamme, dann ungerührtes Weiterschuheanziehen. Und was an Liebe in mir Platz hatte, empfand ich in diesem Moment für ihn. Ich war so dankbar, dass ich mich nicht schämen muss bei ihm.
Außerdem war ich bei allem Aufruhr in meinem tiefsten Inneren dankbar, dass mit dem Platzen der Fruchtblase die nächste Etappe geschafft war: Jetzt gab es kein Zurück mehr, kein „erwarten Sie nicht zu viel“. Jetzt gab es nur noch ein Vorwärts.
Allerdings verwischt ab hier meine klare Erinnerung. Ich weiß, dass ich zurück in den Kreißsaal verfrachtet wurde, Meter für Meter, Wehe für Wehe. Ich weiß, dass der Muttermund sich ein kleines bisschen mehr geöffnet hatte – erst 2-3 Zentimeter und dann wieder etwas mehr: „Die ersten drei Zentimeter sind die Schwersten“. Ich weiß, dass das Etwas Vernunft in meinem Kopf gute Arbeit in Sachen Atmung leistete, denn die Hebamme sagte, sie habe ja gar nichts zu tun.
Der Retter in der Not
Ansonsten kniete und schaukelte ich auf dem Bett. Der Fipspapa knetete mir den Rücken, wischte Haare aus der Stirn (später würde ich vom Wälzen auf dem Kissen eine Dreadlock auf der Stirn haben), gab zu Trinken und hielt meine Hand. Er war die ganze Zeit da und ich hab mich geborgen gefühlt. Sicher. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn getan hätte.
Allerdings hindert mich das wohl nicht daran, meine Wünsche in den jeweiligen Momenten sehr direkt vorzubringen. In meinem Kopf klang es ungefähr wie „Kannst du mir bitte den Rücken massieren?“ – raus kam wohl eher ein „Knubbeln! Bitte!! Tiefer! Stärker!!!“ Höflichkeit war einfach nicht mehr drin, aber er sagte, ihm habe das nichts ausgemacht. So wusste er wenigstens, was zu tun war.
Kein Schmerzmittel? Haha, Scherz.
Als mir ein Tropf angeboten wurde, der die Wehen in ihrer Art und Weise nicht schwächen, aber erträglich machen würde, war ich dankbar. Ich wollte nach wie vor keine PDA, aber mit 500 Milliliter Weißnichtwas im Blut, konnte ich wieder klarer denken und sogar ein paar zusammenhängende Worte mit dem Fipspapa reden. Wir konnten sogar aufstehen und ein paar wackelige Schritte durch den Kreißsaal gehen. „Ich komme mir nicht nutzlos vor“, sagte der Fipspapa, und wieder war ich endlos dankbar.
… hier geht’s weiter mit der Austreibungsphase.
2 Gedanken zu “Der Geburtsbericht Teil 2: Die Übergangsphase”