„Mama, ich bin hässlich!“ Wenn die Standardsprüche nicht ziehen.

Ich muss ehrlich sein: Das, was ich bisher an Tipps für ein gesundes Körperbild zusammengestellt habe, hat Fips nicht geholfen. Ich will nicht sagen, dass bewusste Kommunikation für ein gesundes Körperbild unwichtig ist, dass ein gutes Körperbild stärken unmöglich ist oder das Thema Diversität vs. Ideal nicht besprochen werden muss. Auf keinen Fall!

Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass alles sind wichtige Basics sind. Und ich habe diese Grundsätze beherzigt, seitdem Fips auf der Welt ist. Ich kommuniziere positiv, lästere nicht über andere Menschen, priorisiere körperferne Eigenschaften, verstecke meinen Körper nicht und spreche offen über alles, was mit diesem Körper so vorgeht. Ich glaube auch, dass das der Weg ist und richtig und wichtig.

Aber Tatsache ist: Obwohl ich all das so gut wie möglich (vor-)lebe, gerät Fips immer wieder in die Krise. Immer mal wieder kommt: „Ich bin so hässlich!“ – wenn auch die Basics soweit Wurzeln geschlagen haben, als dass es jetzt oft heißt: „Ich bin klug und witzig und ich habe immer Ideen, aber ich bin hässlich„. Na immerhin!, denke ich mir dann, und dass der Standardtrick mit der Wiederholung immerhin teilweise Wirkung zeigt. Aber nach dem richtigen Stichwort, um das Thema optische Selbstwahrnehmung zurechtzurücken, suche ich immer noch.

Wir sind Trainer, keine Spieler

Aber so sehr ich mir wünsche, einfach den richtigen Knopf drücken zu können, damit Fips sich endlich ganz und gar akzeptiert: Vielleicht auch gibt es den gar nicht. Denn mal ernsthaft: Hat es bei Erziehung und Umgang mit Kindern schon so was wie einen 100%ig funktionalen Lösungsknopf gegeben? Klick, drücken, und für immer easy going? Das wünscht man sich, wohl vier Millionen Mal allein zwischen Geburt und drittem Geburtstag, aber wir wissen alle, dass es diesen Knopf nicht gibt.

Neulich habe ich gelesen, dass Eltern wie Trainer sind. Wir können coachen, anfeuern, beistehen – aber wir bleiben am Spielfeldrand. Wir können das Tor nicht selber schießen, das Foul nicht abhalten. Das müssen unsere Kinder selbst tun. So schwer es auch fällt.

Vielleicht ist der Weg zum gesunden Körperbild also eher so etwas wie ein Spiel, wenn auch ein mitunter verdammt hartes Game. Der kritische Blick auf sich selbst ist ein Teil davon, ein wichtiger Spielzug, und so sehr ich Fips das abnehmen und ersparen will – es gehört zur Selbstwahrnehmung.

Und so wie ein brüllender, fuchtelnder Coach am Spielrand unverzichtbar ist, sind auch die oben genannten Basics nicht wegzudenken. Ich kann nichts abnehmen, nichts über-nehmen, aber als erfahrener Stratege darf ich Methoden anwenden und Pep-Talks in der Kabine halten. Was da am besten zieht? Standardsprüche sicher nicht. Was zieht, hängt von vielen Faktoren ab. Immer wieder neu.

Ehrlichkeit. Und im Flow bleiben. Strategiewechsel, bitte!

Natürlich habe ich die Standardsprüche versucht. „Warum findest Du Dich denn hässlich?“, „Aber Deine Haut ist so wichtig, weil…“, „Ich finde dich hübsch“, „Du bist viel mehr als Dein Aussehen“ und Co. Bis ich nicht mehr konnte, weil es auch einfach nicht anzukommen schien.

Hier eine random Sammlung von Dingen, die ich zu Fips gesagt habe, nachdem ich irgendwie die Geduld verloren hatte, und die im Gegensatz zu den Basics unerwarteterweise Resonanz erzeugen konnten, zumindest temporär. Zum besseren Verständnis: Es geht bei uns immer um Leberflecke.

  • Einmal habe ich gesagt, dass der französische Sonnenkönig und alle Hofdamen und Prinzessinnen wunder wie neidisch wären auf Fips‘ kleine Pünktchen. Dass die sich das extra aufgemalt hätten! Und dass die Pünktchen damals Schönheitsfleck hießen und man ohne diese Pünktchen gar nicht sein wollte. Prinzessinnen? Neidisch? Fips leuchtete für eine Weile.
  • Neulich habe ich gesagt, dass die Pünktchen Fips einzigartig machen. „Das macht sie aber nicht schön!!“ – „Nein, Einzigartigkeit bedeutet auch nicht Schönheit. Sondern es bedeutet, dass niemand anders so ist wie Du. Wie bei Koi-Karpfen, da sieht auch jeder anders aus. Oder wie bei Meerschweinchen mit geflecktem Fell. Da ist jedes besonders und Du findest alle gut.“ Ja, Fips nickte. Tiere sind unterschiedlich, aber alle sind toll.
  • Abends im Bett spielen wir immer „Noch fünf Fragen und dann wird geschlafen“. Die Frage lautete: Warum hast Du mich so lieb, Mama? Mir ist sehr viel eingefallen, glaubt mir, und Fips hörte aufmerksam zu. Und sagte am Ende: „Auch wenn ich so hässlich aussehe?“ Ich sagte: „Ich weiß, dass Du Dich so siehst. Ich sehe das aber nicht, wenn ich Dich anschaue.“ – „Was siehst Du denn?“ – „Ich sehe einfach mein Kind und das sieht einfach so aus wie Du aussiehst.“ Schweigen. Keine weiteren Fragen.
  • „In der Kita will XX immer die Schönste sein!“, schmipft Fips. „Ganz schön langweilig. Ich wäre ja lieber die Klügste! Die mit den besten Ideen“, sage ich. „Oder nett. Echte Schönheit kommt ja, weil man nett ist“, überlegt Fips.
  • „Warum sind alte Leute dick?“ – „Das passiert manchmal, wenn man älter wird, sich vielleicht nicht mehr so bewegen kann und sich der Körper verändert und weicher wird.“ Fips in heller Panik: „Ich will nicht alt und hässlich werden!!!“ – „Aber ich habe auch einen weichen Bauch. Bin ich jetzt hässlich?“ – „Nein, Du wirst immer schöner, Mama! Ich liebe Deinen Bauch!“ Wilde Umarmung und begeistertes Ankuscheln an genannte Körperzone.
  • Ich lese „Body Positivty“ von Megan Jayne Crabbe. Fips weiß, dass es irgendwie um Schönheit geht und bestaunt das Cover mit der strahlenden Megan mit ihrem bunten Blumenkranz. „Was schreibt die Frau in dem Buch?“ – „Sie erzählt, dass sie mal gedacht hat, das gute Leben sei nur für dünne Leute.“ – Fips, völlig entrüstet: „Was!! Das gute Leben ist für ALLE Leute!! Egal, wie man aussieht!“
  • … to be continued.

Ich versuche nicht mehr, das Eine zu finden. Ich haue einfach öfter in dieselbe Kerbe. Auch wenn ich es lieber anders hätte. Einfacher, schneller, effektiver. Aber so ist Leben mit Kindern eben nicht.

Keine Patentlösung nötig

Ich verabschiede mich von dem Gedanken, dass es die eine Sache gibt, die ich sagen kann, um Fips‘ kleine Seele zu heilen. Ich verabschiede mich von dem Gedanken, dass mein „Wir sind schön„-Projekt die Ad-hoc-Befreiung sein kann. Es gibt die Lösung nicht – dazu sind Schönheit und „Perfektion“ schon viel zu tief verwurzelt in unserer Erziehung und Sozialisierung.

Aber jeder Text, den ich zum Thema Schönheit und Selbstwahrnehmung lese, verändert die Art und Weise, wie ich mich selbst wahrnehme. Ich fühle mich nicht schöner, aber ich beschütze meinen Körper mehr. Ich achte mehr darauf, wie ich andere sehe und (wenn auch vielleicht nur im Stillen) bewerte.

Und jedes Gespräch, das ich mit Fips führe, ist ein kleiner Schritt voran. Am Ende wird Fips das Spiel machen, da bin ich mir sicher. Ich vergess‘ es oft selbst, aber wir sind schließlich noch in der Pampers-Liga, wie man hier so schön zu den jüngsten Nachwuchsspielern sagt. Bis zur Champion’s League ist noch Zeit. Zeit für viele, viele Gespräche und ab und zu für einen Satz, der vielleicht hängenbleibt.

Go, Fips ❤

Ich werd‘ immer Dein Cheerleader sein, Dein Coach, Deine Mama. Ich hab Vertrauen zu Dir, solange bis Du Dich selbst genug kennst. Du machst das.

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