Mein Fipskind ist inzwischen sechs Jahre alt und für mich als Mama ist sie natürlich das schönste Kind der Welt. Ich liebe ihre strahlenden Augen, ihr Lachen, ihre Kreativität und Geschicklichkeit. Wir sagen ihr oft, dass sie für uns wunderbar ist – aber an manchen Tagen bricht ein plötzlicher Selbsthass aus unserem Kind heraus. Sie sagt, sie sei “blöd” und “hässlich” und sie habe “keine Liebe verdient”.
Beim ersten Ausbruch vor ca. 1,5 Jahren war ich wie vor den Kopf geschlagen: Woher diese plötzliche Wut, warum schätzt sich unsere Tochter trotz aller positiven Bestärkung so schlecht ein, was kann ich dagegen machen?
Inzwischen habe ich mir ein paar Strategien, Erklärungen und “Hilfsmittel” zurechtgelegt. Ich habe auch mit einigen anderen Mamas gesprochen, die mit ihren Töchtern dieselben Struggles durchmachen: Wir sind nicht allein und deswegen möchte ich die gesammelten Tipps und ein bisschen Hintergrundwissen mit euch teilen.
Alles davon ist für Vorschul- und Grundschulkinder geeignet, aber vieles lässt sich auch auf Kleinkinder und Teenager adaptieren. Und natürlich sind sämtliche Empfehlungen nicht nur was für Töchter oder Mütter, sondern für alle Kinder und Bezugspersonen 🙂
1. Nimm die Sorgen ernst.
Am liebsten würde ich als Mutter mein Kind gänzlich davor bewahren, mit sich selbst in der Krise zu sein: Aber leider gibt es zum einen keine 100% wirksame Prävention, um Körperbildkonflikten vorzubeugen – und zum anderen ist das auch gut so, denn der (kritische) Blick auf sich selbst gehört zu einer normalen Persönlichkeitsentwicklung dazu.
Eine Studie des Entwicklungspsychologen Ulrich Orth zeigt, dass Kinder schon ab vier Jahren ein Selbstwertgefühl entwickeln. Sie beginnen, ihre Eigenschaften zu erkennen und fangen an, diese zu vergleichen und einzuordnen, d.h. sie bewerten sich selbst, ihre Fähigkeiten, ihr Aussehen, ihre Kleidung etc. positiv oder negativ.
So beurteilen sie sich entweder selbst oder erfahren Urteile durch andere. Beides kann unsere Kinder belasten: Mit altersgerechten Fragen kannst Du schon bei Kindergartenkindern herausfinden, woher die Sorgen kommen und mit ihnen darüber sprechen. So legst Du ein gutes Fundament für eine offene Gesprächskultur – und die wird spätestens in der Pubertät wichtig, wenn die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper verstärkt dazu gehört, um die eigene Identität zu entwickeln.
2. Stärke Dein Kind mit Liebe – und Wiederholungen.
Den Grundstein für eine gute Selbstakzeptanz legen wir als Eltern: Das geschieht, indem wir eine Atmosphäre schaffen, in der unser Kind geborgen ist, Fehler machen darf und grundsätzlich als wertvoll angesehen wird. Dazu braucht es genug Raum, um sich in seinem Tempo zu entwickeln und eigene Erfahrungen zu machen – die berühmte Balance aus Wurzeln und Flügeln.
Wenn man “Selbstbewusstsein stärken” googelt, landet man außerdem ganz schnell bei dem Begriff Affirmation. Das klingt schon fast wieder nach Buzzword (so ähnlich wie Gesichtsyoga) und es liegt vielleicht auch nicht jedem, seinem Kind im Alltagstrubel täglich positive Glaubenssätze vorzusagen.
Es geht aber auch anders. Im Prinzip ist es nur wichtig, Deinem Kind über Wiederholung eine bestimmte Grundhaltung zu vermitteln. Zum Beispiel so:
- Nutze bestimmte Redewendungen, wenn das Thema Körperbild aufkommt – z.B. “Schönheit ist nicht alles”, “Wir sind viel mehr als unsere Körper”, “Liebe hängt nicht vom Aussehen ab”. Ich beobachte bei Fips, dass sie diese Wendungen selbst aufnimmt, in ihren Worten wiedergibt und weitere Erklärungen dann auch leichter aufnimmt.
- Frage nach Treffen, wie Dein Kind Freunde und Familie wahrnimmt und was es an ihnen besonders mag. Beantworte die Frage auch selbst und beziehe Dich dabei bewusst auf Eigenschaften und Verhalten (es sei denn, Oma ist einfach so schön weich, dass man sie den ganzen Tag umarmen möchte).
- Entwickle ein kleines Ritual, um über den Tag zu sprechen: “Was war heute besonders schön? Was haben Deine Beine heute gemacht? Was haben Deine Ohren gehört? Was war das Beste, was Deine Nase gerochen hat?”
3. Sei ehrlich.
Kinder merken, wenn wir ihnen etwas vormachen: Wenn wir selbst mit unserem Körper kämpfen, können wir ihnen schlecht das Gegenteil erzählen.
Gerade älteren Kindern darfst Du also durchaus ehrlich berichten, wenn Du selbst gewisse Probleme mit dem eigenen Körper hast oder hattest. Idealerweise kannst Du dabei sogar erzählen, wie Du für Dich eine Lösung gefunden hast – z.B. so:
- „Früher fand ich meinen Po immer zu dick. Aber irgendwann fiel mir auf, dass viele hübsche Menschen einen runden Po haben und heute bin ich damit ganz zufrieden.”
- “Ich hatte immer dickere Schenkel als die meisten Mädchen und lange habe ich deswegen nur lange Hosen angezogen. Durch Sport sind meine Beine jetzt aber auch stark geworden und ich habe mehr Selbstbewusstsein, weil ich weiß, was sie können.”
- “An manchen Tagen finde ich es immer noch schlimm, dass ich oft Pickel kriege. Aber ich will mich deswegen nicht mehr verstecken und auf Partys oder schöne Kleider verzichten, nur weil ich Angst habe, dass es jemandem auffällt.”
Übrigens: Wie wir als Mütter besser mit unserem Körper umgehen und uns selbst quasi in Vorbildfunktion mehr wertschätzen können, darüber wird es auch bald einen Artikel geben. Ich werde ihn hier verlinken – folge meinem Blog auch gern, um keinen Beitrag zu verpassen!
4. Akzeptiere Veränderungswünsche.
Ob Pigmentfleck oder Körperform – in unserer modernen Welt gibt es viele Möglichkeiten, etwas am Erscheinungsbild zu verändern. Doch sollte man einem kleinen Kind gleich kosmetischen OPs ankündigen oder Diätprogramme starten? Sicher nicht.
Stattdessen können wir erst einmal auf Akzeptanz setzen bzw. darauf, das Selbstwertgefühl weg vom Körper hin zu Eigenschaften und Fähigkeiten zu führen.
- Bei gefährlichem Übergewicht kannst Du Dich vom Kinderarzt oder Deiner Krankenkasse beraten lassen – ideal ist es, wenn Du gemeinsam mit der ganzen Familie einen Weg zu mehr Bewegung und gesunder Ernährung findest.
- Bei Narben, Vitiligo, roten Feuermalen oder anderen, eher auffälligen Merkmalen kann das Gespräch mit anderen Kindern oder auch Erwachsenen mit demselben Körperbild helfen, wenn Dein Kind allein schwer damit zurechtkommt – googele einfach mal nach Gruppen zum Austausch. Es kann auch helfen, gemeinsam Fotos von Menschen mit denselben Merkmalen anzuschauen, damit Dein Kind sich weniger “besonders” fühlt.
Bleibt der Änderungswunsch stark, belastend oder wird er obsessiv, wende Du Dich an eine Beratungsstelle – dazu findest Du im Folgenden noch ein paar Infos.
5. Hol Dir Hilfe, wenn es nötig ist.
Auch als Erwachsene mögen wir uns mal mehr, manchmal weniger (bei uns Frauen hat das sogar oft einfach mit dem Zyklus zu tun). Genauso kann die Stimmung auch bei unseren Kindern schwanken.
Bei uns finden “Ich bin hässlich!”-Ausbrüche außerdem meistens statt, wenn das Fipskind überreizt, erschöpft und hungrig ist. Ein sattes, ausgeschlafenes Mädchen sagt eher sowas wie: “Heute mag ich mich wieder mehr.” Ich versuche also parallel zum Gespräch auch die körperlichen Bedürfnisse abzuchecken und zu erfüllen: Nähe, Ruhe, Hunger und Durst.
Wenn Kinder ihren Körper nicht mögen, ist das besonders schmerzhaft für uns als Mama. Es muss aber noch nicht bedeuten, dass hier etwas Elementares mit dem Körperbild nicht stimmt. Wenn folgende Punkte zusammenkommen, solltest Du jedoch Kontakt zu Beratungsstellen aufnehmen:
- Dein Kind beschäftigt sich übermäßig mit seinem Körper, denn es als hässlich oder falsch empfindet. Dabei befasst es sich oft exzessiv mit bestimmten Themen wie Geschlecht, Haut, Nase oder Körperform.
- Dein Kind leidet offensichtlich und dauerhaft, weil die Frage nach dem Aussehen ganze Lebensbereiche beeinträchtigt: Das kann sich als soziale Isolation zeigen oder darin, dass es gewisse Körperregionen verstecken möchte.
- Ständige Rückversicherungen durch Fragen (“In diesem Pulli sehe ich nicht dick aus, oder?”), extrem viel Zeit vor dem Spiegel oder gänzliches Vermeiden von Spiegelbildern sowie die zunehmende Fixierung auf Veränderung sind ebenfalls Alarmzeichen.
- Änderungen im Essverhalten müssen unbedingt ernst genommen werden.
Wenn Du hier Unterstützung brauchst, kannst Du z.B. das Elterntelefon unter 0800 111 0 550 oder die Beratungsstellen der Caritas kontaktieren.
Meine Tochter findet sich hässlich – mehr gute Ideen, die dann helfen
Gute Kommunikation zwischen Eltern und Kind sowie ein offener Blick in die Realität abseits der Idealbilder sind ebenfalls wichtig, um ein gesundes Körpergefühl bei unseren Kindern zu stärken. Tipps für beide Bereiche findet ihr hier:
- Bewusst kommunizieren für ein gesundes Körperbild
- Diversität vs. Ideal: So vermittelst Du Deinem Kind ein vielfältiges Körperbild
- .. und (last, but leider not least) Wenn die Standardsprüche nicht ziehen
Auch mit Hintergrundwissen zu geschichtlichen und kulturellen Grundlagen kannst Du bei Dir selbst und damit auch bei Deinem Kind für eine differenziertere Selbstwahrnehmung sorgen: Das Thema Schönheit ist komplex, oft belastend und tief in unserer Kultur verwurzelt, gerade bei Frauen und Mädchen. Aus meiner Recherche für diesen Post ist inzwischen ein größeres Projekt entstanden. Schau doch mal rein bei “Wir sind schön”.