Schönheit spielt eine wichtige Rolle bei unserer Selbstwahrnehmung und auch dabei, wie wir andere Frauen beurteilen. Schon kleinen Mädchen machen wir Komplimente, wie hübsch sie aussehen oder wie gut ihnen ihre Kleidung steht. Bei uns selbst betrachten wir jede Hautfalte mit Verachtung, überschminken Unreinheiten und filtern uns online möglichst makellos glatt.
Doch warum ist das eigentlich so? Um zu verstehen, wieso optische Kriterien so viel Gewicht für uns entwickeln konnten, müssen wir zuerst wissen, woher wir kommen. In Teil 1 meiner kleinen Historie nehme ich euch deswegen mit in die Vergangenheit – an den Anfang der Geschichte, sozusagen. Denn um die Kultur zu verstehen, in der wir heute leben, müssen wir wissen, woher wir kommen.
Manches werde ich hier anders beschreiben, als wir es bisher gewohnt sind. In der traditionellen Geschichtsschreibung geht es wenig um die Stimmen und Erlebnisse der Frauen – Kämpfe, Siege und Niederlagen als Meilensteine der Geschichte entsprechen eher der Erlebniswelt der Männer. Aber da ist auch noch eine zweite Seite.
Also auf zum Throwback in die Jungsteinzeit! – zu einer Zeitreise von etwa 10.000 Jahren.
Auf zum Throwback in die Jungsteinzeit!
Es war einmal, vor 10.000 Jahren.
Die Menschen in Europa ließen sich langsam sesshaft nieder, lebten gruppenweise in Langhäusern und Blockhütten, begannen mit Ackerbau und zähmten die ersten Wildtiere als Haustiere. Dabei spielten Macht, Gender und Kriege keine große Rolle: Es war ein weitgehend friedliches, egalitäres und herrschaftsfreies Miteinander, welches das Wohl der Gemeinschaft über das Wohl des Einzelnen stellte.
Was so als Konzept ziemlich gut klingt, darf aus heutige Sicht aber nicht zu rosig betrachtet werden: Wer von unseren Vorfahren bei der hohen Kindersterblichkeitsrate überhaupt das 20. Lebensjahr erreichte, wurde meist nur um die 30 Jahre alt.
Ernährt wurde sich vor allem vegetarisch – also weniger Jäger, mehr Sammler. Durch die Sesshaftigkeit gab es auch schon aktiven Landbau. Einen entsprechenden Stellenwert besaßen die Felder und die Natur im Leben der Menschen: Beides wurde als heilig betrachtet, als Verkörperung der Großen Erdmutter, die für ihre Kinder sorgte und dafür Fürsorge und Achtung erhielt.
Die heilige Weiblichkeit
Die irdischen Frauen waren Teil dieses ganzheitlich sakralen Ansatzes: Sie besorgten tendenziell den Großteil der Landwirtschaft, wenngleich auch noch keine feste Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern existierte. Die Zuordnung leitete sich möglicherweise aus dem Fruchtbarkeitsgedanken ab: Als nährende Schöpferinnen gebaren die Frauen auch die Kinder, die der Gemeinschaft von der Großen Göttin gegeben wurden.
„Der weibliche Zyklus war ein wichtiger, geradezu heiliger Bestandteil der Kultur.“
So war auch der weibliche Zyklus ein wichtiger Bestandteil der Kultur: Er symbolisierte die ständige Veränderung im Wechsel der Jahreszeiten und Mondphasen sowie das stetige Werden und Vergehen in der Natur. Jeden Monat bluten zu können, ohne zu sterben, und die Fähigkeit, Kinder zu gebären, wiesen den Frauen eine spirituelle Kraft zu, die geachtet und hoch angesehen wurde.
Die Weiblichkeit an sich galt demnach als heilig – wobei “heilig” noch nicht im heutigen, christlichen Sinne zu verstehen war. Wahrscheinlicher ist, dass es sich der Begriff auf den Wortstamm “heil” bezieht, der – wie auch später im Althochdeutschen verwendet – vielmehr “gesund”, “vollständig” und “ganz” sowie auch “Zauber” bedeutet. Anders gesagt: Frauen waren in ihrem ganzen Wesen richtig – ebenso übrigens wie jedes andere Geschlecht.
Auch wenn die gängige Geschichtsschreibung es so erscheinen lässt, als ob immer Männer das Sagen gehabt hätten, galt in der damaligen Gesellschaft eine gender-egalitäre Haltung, in der jedes Geschlecht seinen eigenen Handlungsspielraum besaß.
Am Anfang stehen die Mütter
Ihr ahnt es sicher: Wir reden von der Epoche des Matriarchats. Der Begriff wird heute oft mit dem brutalen Begriff der “Frauenherrschaft” gleichgesetzt, bedeutet aber tatsächlich etwas völlig anderes. Die Bezeichnung Matriarchat setzt sich aus “mater” (lat. Mutter) und dem griechischen Wort “arché” zusammen, was in seiner frühesten Bedeutung den Anfang oder Ursprung bezeichnet. Mit der Herrschaft einer dominanten Gruppe über eine unterlegene Gruppe hat das Matriarchat also wenig zu tun. Wortwörtlich bedeutet Matriarchat “am Anfang stehen die Mütter”. Und wenn wir bedenken, wie wir alle auf die Welt gekommen sind, ist das wohl ein unverrückbarer Fakt.
Und genau so wurde es in der Jungsteinzeit betrachtet: als Fakt. Am Anfang stehen die Mütter. Sie waren nicht besser oder mehr wert und auch nicht dominant. Aber sie waren die anerkannten Hüterinnen des Landes, gebaren die Kinder und waren damit der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Zusammenlebens.
„Die Mütter waren der Schlüssel – aber sie waren nicht mütterlich nach unserem Ideal.“
Die Schlüsselrolle der Frau in der Gemeinschaft wurde offen gelebt, akzeptiert und sogar gefeiert. Denn die über-idealisierte Deutung von Mütterlichkeit im heutigen Sinne – also liebevoll und umsorgend, gern bis zur Selbstaufgabe – kannte man in der Jungsteinzeit nicht. Völva, Master Coach und Ahnenheilerin Kaja Andrea Otto schreibt: “ (…) die als mütterlich bezeichneten Werte und die Zentrierung der Mutter [weisen] nicht auf die heutige westlich geprägte Idealisierung hin, sondern [gemeint] sind damit Prinzipien, die auf Mutter Natur als Prototyp beruhen.”
Göttin, Mutter, Kind
Aber nicht nur unser heutiges Mütterlichkeits-Ideal gab es noch nicht. Und auch die Kleinfamilie als unser heute bekanntes “Mama, Papa, Kind” war nicht vorhanden. Der Vater an sich war buchstäblich unbekannt.
Tatsächlich waren unsere Vorfahren diesbezüglich ziemlich unaufgeklärt. Bis zum Ende der Bronzezeit, also etwa 1.200 bis 800 v. Chr., wusste man nicht, dass zur Empfängnis eines Kindes auch ein Mann bzw. sein Samen nötig war.
Die Frauen im Matriarchat lebten ihre Sexualität frei, hatten also nicht unbedingt einen festen Partner in der Gruppe und Kinder galten als von der Göttin gesandt. Sex wurde nicht unmittelbar mit Schwangerschaft in Verbindung gebracht – es gab Mütter, aber keine Väter.
„Es gab Mütter – aber keine Väter.“
Stattdessen betrachteten sich alle Mitglieder eines Clans als Kinder der Großen Mutter, als Geschwister (ein Begriff, der übrigens vom althochdeutschen ”giswestar” für “Gesamtheit der Schwestern” abgeleitet ist). Und wie Brüder und Schwestern sorgten sie gut füreinander.
Viele tausend Jahre lang. Bis sich das Land, auf dem sie lebten, veränderte. Und wie das aussah, erfahrt ihr in Teil 2: “Von der der Mutter zum Vater”.
* Das Thema Schönheit ist komplex, oft belastend und tief in unserer Kultur verwurzelt, gerade bei Frauen und Mädchen. Aus meiner Recherche für diesen Post ist inzwischen ein größeres Projekt entstanden. Schau doch mal rein bei “Wir sind schön”.