Mein Post-Partum-Körper, ich & die verdammte Body Positivity

Postpartum hat das Wort „Babyspeck“ für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen… Manchmal habe ich das Gefühl, dass Snacks das einzige sind, was ich mir zwischen Kind, Haushalt, Job und sonstigen Pflichten noch schnell „Gutes“ tun kann. Wirklich glücklich macht es mich allerdings nicht. Genausowenig wie mein Körper: Ich schwanke zwischen meinem „Idealbild“ und dem Frieden, den mir Schwanger- und Mutterschaft geschenkt haben. Anders gesagt: Ich schwanke zwischen den Prioritäten, die mir mein neues Leben gegeben hat, und dem Zwang, auch/erst recht als Mutter topfit in shape sein zu müssen.

Statt mich und meine „Überbleibsel“ nun zu verstecken, beschäftigt mich eine Frage gerade sehr: Wie kann ich mit meinem neuen Körper zurechtkommen? Vier Kilo sind von Schwangerschaft und Stillzeit übriggeblieben. Die ersten unwiederruflichen Falten. Immer wieder neue weiße Haare (die ich ausreiße), Hüftgold und eine Zahl auf der Waage, die ich da nicht sehen möchte. Weiche Brüste und das, was der Fipspapa liebevoll einen „Muttibauch“ und „Muttipo“ nennt. Und mittendrin stecke… irgendwie ich. Doch was bin ich? Was darf ich sein?

Wer will ich sein? Inspiration aus dem Netz

Meine eigene Mutter war nie der Barbie-Diät-Typ. Sie hat in meiner Erinnerung nie vor dem Spiegel gestanden und irgend ein unsichtbares Detail an sich bemäkelt oder mit Make-up überdecken wollen. Aber – entschuldige, Mama ❤ – sie war auch nie ein Vorbild, das mir einen guten Umgang mit meinem Körper gelehrt hätte.

Zuhause hat nie jemand zu mir gesagt, dass ich fett wäre und abnehmen müsse. Ich habe ausgewogene Ernährung als „lecker“ erlernt, aber ich habe nicht gelernt, mich positiv anzunehmen. „Bei so kurzen Oberteilen hast du ’ne ziemliche Kiste“, sagte mein Vater mal.

Okay, vielleicht sollte mir nicht gerade mein Vater sagen, dass ein runder weiblicher Po etwas Attraktives ist. Vielleicht sollten Männer generell nicht hauptsächlich beurteilen dürfen, was bei Frauen schön ist und was nicht. Jedenfalls bewirkte dieser Spruch, dass ich Teile meines Körpers als versteckenswert einstufte.

Nicht nur deswegen befürworte ich, dass Mädchen bei Komplimenten (und generell) nicht auf ihr Aussehen reduziert werden sollten. Ich befürworte auch, dass sie ihren Körper für seine Leistung als aktives Lebens-Werkzeug schätzen sollte. Doch ich selbst habe beides nicht erlebt.

Mein Körpergefühl ist schlecht, genauso wie meine Wahrnehmung. Das war vor der Schwangerschaft so und steht jetzt, gut 21 Monate post-partum und knapp zwei Monate nach dem Abstillen, wieder auf der Kippe. Es wäre leicht, mich wieder zu verabscheuen.

Doch in letzter Zeit habe ich einige Beiträge im Netz gefunden, die mich sehr nachdenklich gemacht haben. Hier sind sie:

1) foodfaithfit: „Was, wenn du deine Extrapfunde nicht länger als Last betrachtest?“

Der erste Post stammt von der Insta-Bloggerin Taylor, die als „foodfaithfit“ Frauen dazu bringen will, Diäten zu skippen und ihren Körper zu akzeptieren, „wie Gott ihn schuf“. Hmja. Sie ist dünn wie die Hölle, so dass ich sie erst für eine geheilte Magersüchtige hielt, aber was sie in diesem Beitrag, den ich leider nicht einbetten kann, schrieb, berührte mich sehr.

Ihre Kernfragen lauten: Was müsstest du opfern, um deine „Zusatzpfunde“ zu verlieren – vielleicht das gemeinsame Essen mit Freunden, deine sozialen Kontakte, die Freude am Leben? Und was wäre, wenn du dich darauf konzentrierst, was dir deine „zusätzlichen“ Pfunde für ein Leben ermöglichen, statt dich darauf zu konzentrieren, sie zu verlieren?

Ja, was wäre dann? Dann wäre plötzlich kein Kampf mehr nötig. Dann könnte ich einfach Frieden schließen. Denn meine Extra-Kilos bestehen aus Fips, der Zeit für die Familie (die ich früher in Sport gesteckt habe) und meiner Liebe zu gutem Essen. Das alles als Ergebnis meines Lebens zu würdigen klang so verdammt einfach.

2) Taryn Brumfitt: „Was, wenn es die Schönheitsindustrie nicht gäbe?“

Doch warum liebe ich mich dann nicht einfach? Die Antwort auf diese Frage sucht die Australierin Taryn Brumfitt in ihrem Film „Embrace – Du bist schön“ von 2016.

Nach der Geburt ihrer Kinder hasste sie ihren Körper so sehr, dass sie sich einen Schönheits-OP unterziehen wollte und sich mit hartem Training plus Diät in nur wenigen Monaten in eine „ideale“ Bikini-Figur kämpfte. Doch obwohl sie sogar erfolgreich an einem Schönheitswettbewerb teilnahm, fühlte sie sich kein bisschen ideal. Stattdessen sah sie ihre Tochter an und wusste plötzlich, dass sie ihr diesen ganzen Schönheitswahnsinn irgendwie ersparen musste: Den Anfang machte ein Vorher-Nachher-Bild, das Taryn einerseits mit ihrer „Idealfigur“ auf dem Laufsteg und außerdem splitternackt und glücklich mit all ihren lebendigen Pfunden zeigte. Das Foto ging innerhalb weniger Stunden viral, sammelte so viel Bewunderung wie Abscheu, und war schließlich der Auslöser für die Idee zu „Embrace“.

Für ihre Dokumentation reiste Brumfitt um die Welt. Sie fragte Frauen, wie sie über ihre Körper denken, und bei jedem weiteren „Disgusting“ oder „Too fat“, wurde der Kloß in meinem Hals dicker: All diese Frauen sahen „normal“ aus. Keine war hässlich, keine war abstoßend. Woher nehmen sich Werbeplakate, Mode-Designer und Photoshop das Recht, diese Frauen – uns! – derartig zu beschämen? Ich war wütend und bestürzt.

Wenn es um andere Frauen geht, kommt mir Taryn Brumfitts Botschaft nämlich ganz einfach und logisch vor: „Liebe deinen Körper wie er ist, denn er ist der einzige, den Du hast!“ Ja, klar! Nur für mich selbst fällt mir das viel schwerer.

3) Alice Munro: „Was, wenn du einfach nimmst, was zu dir passt?“

Warum ist es so kompliziert? Ich habe immer noch das Idealbild von mir. Ich war und bin keine klapperbeinige Cup-C-Püppi. Aber ich habe meine Lieblingsklamotten, die ich anziehen will (und die ich mir teilweise verbiete, weil ich finde, dass ich es mir noch nicht wieder „erlauben“ kann – das in einen Satz gepackt zu lesen, klingt verrückt. Aber diese Ansicht steckt fest in Fleisch und Seele).

Tja. Was ist Fakt? Meine Hüften sind weicher geworden. Breiter. Mein Bauch insgesamt ist weicher und er mag es gar nicht mehr, wenn ich ihn in enge Hosen quetsche. Soll ich mir nun abhungern, abtrainieren, was mir das Unbehagen verursacht? Oder tausche ich einfach die Hosen aus? Wäre das ein Eingeständnis von Schwäche, Faulheit und Resignation? Ich weiß es nicht.

Heute morgen beim Frühstück stolperte ich üder ein Zitat der Schriftstellerin Alice Munro, in den Mund gelegt einer Verkäuferin, die eine Kundin zu einem Kleid berät:

„Der Haken ist, Sie haben eine gute Figur, aber eine kräftige Figur. Sie sind grobknochig, na und? Zierliche Samtknöpfchen sind nichts für Sie. Quälen Sie sich nicht mehr damit. Ziehen Sie es einfach aus.“

aus: Himmel und Hölle,
„Hasst er mich, mag er mich, liebt er mich, Hochzeit“

Nach diesem Satz reicht die Verkäuferin ihrer Kundin Johanna ein anderes Kleid in die Umkleidekabine. Sehr viel schlichter, sehr viel weniger modisch. Aber in diesem Kleid fühlt sich Johanna nicht mehr als hätte man sie wie eine Witzfigur verkleidet. Es ist nicht als hätte das Kleid aus ihr ein Model gemacht, aber es bringt ihre Schönheit zum Vorschein. „Sie brauchen keinen Samt zu tragen. Sie haben Samtaugen“, sagt die Verkäuferin. Quälen Sie sich nicht mehr damit.

Ja. Die Entscheidung liegt nämlich bei mir: Wieso quäle ich mich also mit Klamotten, die nicht (mehr) zu meinem Körper passen? Wie will ich denn mit etwas, das mir Unbehagen bereitet, ein Bild von „Schönheit“ erzielen?

5) Was, wenn ich nie gesehen habe, was ich hatte?

Mit dem Fipspapa habe ich gestern Fotos durchgeblättert. Fipsbabybilder lassen uns immer sehr nostalgisch werden, und uns fiel auf, wie verdammt jung wir auf diesen Aufnahmen aussehen – dabei sind die ja nicht mal zwei Jahre alt. Trotzdem kommt es mir vor, als würde ich nun als Frau auf meine Vergangenheit als Mädchen blicken.

Und dann erst die Bilder vor der Schwangerschaft: So habe ich ausgesehen??? Ich weiß, dass ich damals wirklich viel Yoga gemacht habe und oft im Fitnessstudio war, aber dass ich so… verdammt, es fällt mir unheimlich schwer, dieses Wort auf mich anzuwenden, aber es ist für einen guten Zweck – also raus damit! Ich wusste nicht, dass ich so perfekt ausgesehen habe. Nein, ich wusste es wirklich nicht.

Ich hatte damals nicht die geringste Ahnung. Maximalhatte ich das Gefühl, mich langsam Richtung „ganz okay“ zu bewegen: Noch ein paar Monate Training, noch ein bisschen weniger Süßkram, dann könnte es vielleicht gehen… Boah!

6) Was, wenn ich jetzt nicht sehe, was ich habe?

Heute möchte ich buchstäblich schreien, wenn ich daran denke. Ich will schreien, wenn ich daran denke, dass ich über 30 Jahre meines Lebens damit verbracht habe, meinen Körper zu messen, zu vergleichen und zu verstecken. Ich möchte weinen, wenn ich daran denke, wieviele Sommer ich in langen Hosen verbracht habe, weil ich meine Beine zu dick fand. Ich möchte weinen, wenn ich heute die Bilder von mir mit 16, 17 anschaue und ein so unsicheres Mädchen sehe. Ich möchte die, die sich mit Mitte 20 von allem erlegen ließ, was schnell genug war, schütteln und sagen: Du hast das nicht nötig. Triff deine Wahl selbst! Du hast es verdient!

Fuck. Ich könnte wirklich heulen, wenn ich daran denke, wieviel Zeit ich schon verschwendet habe, etwas zu hassen, was so gut zu mir war. Noch im ersten Trimester war ich noch völlig von den Gedanken an Fitnesserhalt und Gewichtszunahme besessen. Erst als der Bauch so richtig zu sehen war, war plötzlich Schluss damit. Zum ersten Mal in meinem Leben kam ich mir einfach richtig vor.

Ich könnte heulen, wenn ich mir überlege, dass ich schon wieder dabei bin, dasselbe zu tun: Mich wieder hassen. Mich wieder quälen. Und dann in 30 Jahren möglicherweise erneut feststellen, dass ich noch ein Drittel meines Lebens verschwendet habe, weil ich doch schön gewesen bin.

Dabei hätte ich jetzt eine Chance. Ich bin nicht mehr so getrieben von meinem Aussehen und Körpergefühl wie vor der Schwangerschaft. Damals habe ich ständig befürchtet, ohne meine Sporteinheiten zu zerfallen wie ein fettes Kartenhaus – aber surprise! Das ist nicht passiert! Ich fühle mich nicht zerfallen.

Shake. Things. Up.

Obwohl ich viel nachdenke, sind meine Gefühle ambivalent: Ich möchte meinen Kleidungsstil bewahren, meine Lieblingsklamotten und die „richtige“ Zahl auf der Waage. Aber gleichzeitig wächst in mir der Wunsch, auch den einmal erlebten Frieden mit mir zu schützen.

Vor allem wünsche ich mir, diesen Frieden an mein Kind weiterzugeben. Wenn ich angesichts meiner verschenkten Jahre schon weinen möchte: Mir vorzustellen, wie Fips vor dem Spiegel voller Selbsthass in das kneift, was uns die Schönheits- und Fitnessindustrie „Problemzonen“ nennen lässt, lässt mich vor Wut durchdrehen.

Denn ich schaue dich an und sehe, dass du perfekt bist, mein KInd. Du bist wunderschön, genau so wie du bist. Deine Beine sind schnell, deine Arme sind stark, du beherrschst deinen kleinen Körper so großartig. Ich möchte, dass du dich für deine Purzelbäume liebst. Für deine Geschicklichkeit und Balance. Für dein Lachen. Für deine strahlenden Augen und das kleine Grübchen, das blitzt, wenn du wirklichwirklich glücklich bist.

Ich will, dass du liebst, wie du bist.

Und ich will dir ein Vorbild sein. Ich weiß noch nicht, wie – aber ich will es sein.

Um es mit einem weiteren Insta-Post zu sagen: SHAKE. THINGS. UP. Wir sind es wert – und vor allem sind unsere Kinder es. #stopcensoringmotherhood #berealwomen

NACHTRAG: Das Thema Schönheit ist komplex, oft belastend und tief in unserer Kultur verwurzelt, gerade bei Frauen und Mädchen. Aus meinen Struggles in diesem Bereich ist inzwischen ein größeres Projekt entstanden. Schau doch mal rein bei “Wir sind schön„!

5 Gedanken zu “Mein Post-Partum-Körper, ich & die verdammte Body Positivity

  1. Petra schreibt:

    Danke für deinen unglaublich ehrlichen Text. Du sprichst mir aus der Seele! Wie sehr, ist mir erst beim Lesen wieder so richtig bewusst geworden… 🤔😟

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Liebe Petra, vielen lieben Dank für deine Worte! Ich freue mich, wenn du meinen Text gern gelesen hast… und dass ich mit diesem Mischmasch an Gefühlen und Körpergefühl nicht allein bin. Liebe Grüße!

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  2. Carola Haas schreibt:

    Hallo!
    Danke für den Artikel. Wie ich diese Ambivalenz nach zwei Kindern kenne. Manchmal fast grausam. Ich fühle mich irgendwie wohl wie noch nie denke aber auch daran wie schlank und sportlich ich vor den Schwangerschaften war. Ich habe vor kurzem sogar ein Sport, Ernährungsprogramm begonnen aber wieder abgebrochen da ich es irgendwie anstrengend finde. Aber gut wärs gewesen wenn ich abnehme. Ich bin ständig hin und her gerissen was mich eigentlich am meisten nervt. Ich bewundere da die Männer, die kennen sowas nicht, die sind oft einfach zufrieden mit ihrem Körper. Aber warum? Wie geht das?

    Ich drück dir die Daumen und die kleine. 4 Kilo, also Bitte das ist doch nichts. Wahrs siehst du jetzt sogar besser und weicher aus als vorher;-)

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Liebe Carola, witzig wie sehr ich über das Wort „weich“ in deinem Kommentar gestolpert bin… denn als Frau kämpft man ja irgendwie ständig dagegen an! Alles soll straff und stramm und sportlich sein, dabei ist „weich“ doch eigentlich ein wunderbarer, gemütlicher und geborgener Zustand. Ich mag auch wieder mehr Sport machen – aber für mein eigenes Wohlbefinden und das Zuhause-Sein in mir. Ich verweigere mich allem, was Stress in meinen Alltag bringt (habe ich beschlossen). Wir haben als Mama wahrlich genug zu tun, unsere seltenen freien Minuten sollen uns doch glücklich machen und nicht mit noch mehr To-Dos belasten ❤ Ich drücke dir die Daumen, dass du für dich auch den richtigen Weg findest und sich das "eigentlich fühle ich mich wohl wie noch nie" für uns beide durchsetzt. Wir haben es verdient ❤

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  3. Sibylle schreibt:

    Huhu!
    Jaja, die olle Bodypositivity…. ich bin damit wahrscheinlich alleine, aber mir hat das immer noch mehr Druck gemacht. Ich war – vor der Schwangerschaft – lange zu pummelig, komme auch aus ner eher fülligen Familie.
    Ich war dann immer entweder frustriert, weil ich nicht abnahm oder weil ich mich unbedingt akzeptieren wollte mit den Kilos und dieses Idealbild der strahlenden, fülligen Lebefrau vor Augen hatte – und dem auch nicht gerecht wurde.
    Entspannt hat sich das, als ich doch noch abgenommen habe: weniger wegen der Optik, sondern weil ich 2 Sachen gelernt habe. Erstens, dass abnehmen entgegen aller Mythen möglich ist und berechenbar und dass ich der Waage nicht ausgeliefert bin.
    Zweitens, dass schlanker nicht gleich schöner ist und dass es viel wichtigere Faktoren gibt. (Ab 10 kg weniger war die Migräne weg -bei 17kg weniger fühlte ich mich nicht mehr gut, fand mich zu schmal und dann habe ich sehr genüsslich 3 kg wieder drauf gepackt…)
    Und diese Entspannung hat sich seit der Schwangerschaft tatsächlich gehalten. Ich bin noch 3 kg über meinem Wohlfühlgewicht und weiß, wenn ich Zeit und Nerven dafür habe, bring ich sie wieder runter. Und bis dahin genieße ich meine schokoladigen Fluchten und mein auf meine Röllchen gekuscheltes Baby. 🙂

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