Alles anders, alles schlechter? 12 Monate Baby-Bilanz

„Alles ändert sich.“ Das ist der Satz, den man als Schwangere wohl am häufigsten hört. „Jaja“, denkt man sich. „Was auch immer. Krieg‘ ich schon hin!“ Klar kriegt man das (abgesehen davon, dass man keine Wahl hat). Aber was dieses mysteriöse ALLES ist… davon hat man absolut keine Ahnung.

Der Fipspapa und ich ahnten, dass es wohl irgendwie damit zu tun haben müsste, dass Fips unser neuer Lebensmittelpunkt sein würde: Wenig Zeit für uns, dachten wir, vermutlich auch erst mal kein Sex und man würde nachts halt öfter mal Windeln wechseln müssen. Aber pffft! Das sollte schlimm sein? Wir waren doch ein gutes Paar! Das würden wir schon hinkriegen! Schließlich war unser Fips ein echtes Wunschkind!

Was bedeutet dieses „Alles ändert sich“?

In zwei Wochen wird Fips ein Jahr alt: Mein Baby wird ein Kleinkind. Meine Elternzeit endet und mit flauem Herzen versuche ich Bilanz zu ziehen. Mein altes Leben war Arbeit, war Yoga, war Musik, war eine nachsichtige und empathische Beziehung, war viel Zeit zum Schreiben. Und wenn ich das so hinschreibe, möchte ich gleichzeitig lachen und weinen. Denn der Schwangerschaftssatz stimmt. ALLES hat sich verändert. Und dieses ALLES ist u.a. dies:

  • 12 Monate habe ich keine Nacht durchgeschlafen.
  • 12 Monate habe ich keine Mahlzeit in Ruhe verzehrt.
  • 12 Monate habe ich viel zu viel Junkfood reingestopft.
  • 12 Monate habe ich Körperpflege und Hygiene im Schnelldurchgang betrieben.
  • 12 Monate habe ich keinen Sport gemacht.
  • 12 Monate habe ich das Gefühl, nichts mehr zu schaffen.
  • 12 Monate habe ich keine Ahnung, was in der Welt vor sich geht.
  • 12 Monate vrmisse ich meine Freunde.
  • 12 Monate stehen Beziehung und Liebesleben ziemlich am Rand.
  • 12 Monate habe ich fast nur über Babykram gesprochen.
  • 12 Monate habe ich oft außer „Kuckuck“ tagelang fast gar nichts gesagt.
  • 12 Monate habe ich gestritten, geweint und unter Unsicherheit gelitten wie nie.
  • 12 Monate ziehen mir Hormone und Veränderungen immer wieder den Boden unter den Füßen weg.
  • 12 Monate lang komme ich an meine Grenzen, und immer wieder darüber hinaus.

Und ja, jetzt heule ich doch. Weil so wenig von dem übrig ist, was ich war. Und noch mehr, weil diese Liste so verdammt negativ formuliert ist. Mein Kind fühlt sich nicht wie etwas Schlechtes an! Und doch liest sich die Liste wie die Taten eines Zeiträubers und Lebensfressers.

Aber was ist es denn nun?! Ist mein Kind das „Schönste auf der Welt“, wie die Happy-Hippo-Instamamas es auf ihren Sauberfrau-Accounts propagieren – oder hat #regrettingmotherhood einfach recht? Stimmt meine Liste oder wiegt ein „Ma-ma!“ aus dem Mausezähnchenmund schwerer? Ich kann es nicht beantworten.

Ist negativ ausgedrückt auch Echt negativ?

„Diese Liste ist so verdammt negativ formuliert“, habe ich geschrieben. Ja. Wie soll man auch positiv umschreiben, dass man nicht mehr Pipi machen kann, ohne dass einem jemand greinend an der Unterhose baumelt? Dass man kaum Zeit hat, sich ein Frühstücksbrot zu schmieren und tagsüber Schokolade und Junk reinstopft, um nicht vor Hunger umzukommen? Dass einem Hände und Lippen einreißen, weil man zu Trinken vergisst (oder sich den Klogang sparen will, aus oben genannten Gründen)? Dass man mit struppigen Beinen und Augenbrauen in fleckigen Klamotten rumläuft? Dass man mit dem Partner häufiger wegen fehlender Nähe streitet als sich einfach mal in den Arm zu nehmen? Dass man vor lauter Zombie-Modus manchmal völlig vergisst, dass man eine Persönlichkeit und so was wie Humor besitzt?

F***! Dafür gibt es keine schönen Worte!! Das sind nackte, blanke Tatsachen aus dem Mamaalltag. Das sind Fakten aus dem Leben mit einem Baby. Punkt.

Aber ich will die letzten 12 Monate nicht in schlechter Erinnerung behalten. Nein. Ich will eine schöne Elternzeit, eine schöne Zukunft. Mit meinem Wunschkind. Ich will, dass mein Glas wieder halbvoll ist. Und deswegen werde ich meine Liste neu formulieren. Denn das „Negative“ hat ja seine Gründe, das passiert ja nicht einfach.

Deine Bedürfnisse sind mir wichtiger als meine

Es passiert, weil ich zuallererst für dich sorge, mein Kind. Wenn du müde bist, wiege ich dich in den Schlaf. Wenn du hungrig bist, füttere ich dich. Wenn du Ruhe brauchst, schaffe ich Frieden. Wenn du Nähe brauchst, halte ich dich. Wenn du Trost brauchst, gebe ich dir alles, was ich kann.

Schlaf, Schönheitspflege, Pipi, Niesen, selbst Schmerzen und Hunger… ich wünsche mir keine Nanny, die mich bei meinen Babypflichten ablöst. Aber ich wünsche mir manchmal ein Alter Ego, dass die lästigen (und schönen) Pflichten für meinen Körper erfüllt, damit ich Ruhe für dich habe. Ich wünsche mir ein Paralleluniversum, in dem ich meditieren, mit Freunden lachen und Kraft schöpfen kann, damit ich dir die beste Mama sein kann, die du verdienst.

Mein Kopf ist erfüllt von dir

Dich will ich beschützen vor Angst, vor Gewalt, vor Bedrohung – vor allem, was Medien, Menschenhirne und die ganze verrückte Welt füllt. Ich habe keine Zeit, darüber zu lesen oder zu reden. Denn ich muss dich stärken. Du bist mein Thema. Deine Sorgen sind meine, deine Mysterien erlebe ich mit dir. Mit dir suche ich ständig neue Wege, und wenn ich manchmal stolpere, gebe ich trotzdem nicht auf. Für dich.

Du bist das Kostbarste für mich

Ich lasse deinen Teddy tanzen, ich baue dir Türmchen, ich halte deine Hände bei deinen ersten Gehversuchen, ich fahre dich spazieren. Ich deute deine Gesten, ich forme Worten aus deinen Lauten, ich sehe die Welt mit deinen Augen.

So will ich es. Ich will dich verstehen. Ich will dich leiten, dich begleiten, dich loslassen in ein Leben voller Freiheit und Glück. Ich will deine Basis sein, will dich tragen, bis du allein fliegen kannst.

#regrettingmotherhood?

Manchmal bin ich kraftlos, traurig, verlassen. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wieder allein zu sein. Manchmal dann, in meinem Traum, steh‘ ich am Meer, schwitze ich auf der Tanzfläche, liege ich in der Sonne, tue ich all das, was ich früher so geliebt habe. Viel zu selten atme ich ein, gönne mir einen tiefen Atemzug klare Luft und spüre meinen Körper endlich wieder. Viel zu selten drehe ich die Musik auf, brenne meine Ohren frei mit den alten Melodien und spüre meine Seele endlich wieder. Und dann gehe ich wieder zurück zu dir.

Vermissen? Ja, ich vermisse viel. Aber bereuen? Niemals.

12 Monate Baby – 12 Monate Mama: Lieber Fips, mein Leben wäre so leer ohne dich. Ich habe nie nach dem Sinn im Leben gesucht, aber du hast ihn mir gegeben. Mit dir haben sich alle Prioritäten geändert, mit dir müssen sich die Definitionen ändern. Das ist das Leben. Das ist ALLES.

9 Gedanken zu “Alles anders, alles schlechter? 12 Monate Baby-Bilanz

  1. Hanna schreibt:

    hey, mein kleiner wird diese Woche ein Jahr alt und ich musste auch die Tränen wegblinzeln, als ich deinen Text gelesen habe, denn es trifft genau meine Gefühle, über die ich in den letzten Wochen nachdenke.
    Danke für den wunderschönen ehrlichen Text, das hilft bestimmt vielen in der Situation…

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Danke für deine Antwort! Es macht es schon ein wenig leichter, wenn man nicht allein mit diesem Wirrwarr aus Gefühlen ist. Und man! So viel Chaos hatte man doch echt nur in der Pubertät… eigentlich.

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  2. Vanessa schreibt:

    „Ja. Wie soll man auch positiv umschreiben, dass man nicht mehr Pipi machen kann, ohne dass einem jemand an der Unterhose baumelt? “ sooooo wahr und doch habe ich das Glück, dass mir das irgendwie nix ausmacht und ich die beste Zeit meines Lebens sogar um ein zweites Jahr Elternzeit verlängere.

    Mir fehlt (nur ganz selten) etwas aus meinem alten Leben und doch bin ich immer noch erstaunt wie sehr mich mein (noch) Baby verändert hat. Ich bin nicht mehr die Alte und das macht mir schon Muffensausen, wenn ich an die Rückkehr in Teile meines alten Berufslebens zurückkehre.

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Wenn einem die Veränderung gar nichts ausmacht und man sogar noch etwas geschenkt kriegt, ist es wirklich das Beste (und zum Glück gibt es diese Tage auch bei mir <3). Ich wäre sehr neugierig zu erfahren, was dir dennoch fehlt und wie dein Baby dich zu "einer Neuen" gemacht hat!

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      • Vanessa schreibt:

        Was mir fehlt, ist ein Städtetrip oder ein Ski WE mit meine Mädels (der Papa mag noch nicht so lange mit der kleinen Kröte alleine sein). Vielleicht auch das Gefühl nicht erklären zu „müssen“ warum es total toll ist was ich mache.
        Einen ganzen Sonntag mit meinem Mann auf der Couch. Ich glaube das war’s aber auch schon.

        Neu an mir ist, dass ich viel weniger plane, viel gelassener bin und auch toleranter werde.

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  3. Lisa-Marie schreibt:

    Muss wirklich über den Text schmunzeln, 1:1 alles ist die Wahrheit an deinem Text! Das, was einem nicht erzählt wird, bevor man ein Kind hat, hast du hier ganz toll zusammengefasst. So ist es eben… und gleichzeitig muss ich so oft lachen mit meinen Kindern, wir machen so viele Scherze, kuscheln so wundervoll. Mein ganzes Herz und ganzes Sein ist erfüllt. Und durchschlafen finde ich neu definiert. Wie kann man nur um 23 Uhr ins Bett gehen und dann um 9:30 Uhr das erste Mal bewusst aufwachen? Das würde mir ja Angst machen mittlerweile :D. Wir haben zwei Kinder im Altersabstand von 13,5 Monaten, aber Gott sei Dank ist unsere Ehe weiterhin sehr liebevoll. Wir müssen zwar auf Schlaf verzichten, um Paarzeit zu haben, aber hey. So ist das eben. 🙂 So vieles, das man erst erfährt, wenn man selbst ein Kind hat, aber deine Liste trifft es genaustens! Liebe Grüße ♡

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