Im Wochenbett: Die vierte Woche

Die erste Woche war Staunen und Sonnenschein, die zweite Woche erstes Kennenlernen und die dritte Woche hat mit einem Verlust geendet. „Nur“ ein Haustier, könnte man sagen, aber Haustiere sind Teil des Haushalts, Teil der Familie, Teil des Herzens. Umso dankbarer bin ich für alles Glück, das wir haben: unser gesundes Baby, unsere Zuneigung und unseren Zusammenhalt und überhaupt für alles, was gut ist. Doch auch das ist nicht alles immer Sonnenschein. Mich erwischen einige schmerzhafte Erkenntnisse über mich selbst – nicht die Ersten in diesem kugelrund-ereignisreichen Jahr, aber jetzt kann ich sie manchmal kaum verarbeiten.

Einer kommt und einer geht, sagt man.

Wir begraben unser Meerschweinchen unter dem einzigen Busch, der auf unserem Baugrundstück steht. Mit dem kleinen Körper in der Kiste im Arm und unserem Fipsbaby in der Trage gehe ich durch den Vordereingang unserer Rohbaus – zum ersten Mal, und auch zum letzten. Ich bin traurig, aber auch erleichtert, weil nach dem wochenlangen Schmerzmittel-Antibiotika-Tierarzt-Zufüttern-Baden-Pflegen-Sorgen-Marathon Frieden einkehrt. Und ich bin froh, weil die kleine Mütze auf unserem Grundstück einzieht und wir nachkommen werden. Bald.

Danke sagen im Krankenhaus

Froh bin ich auch, weil ich nach der traurigen Beerdigung etwas Fröhliches geplant habe: Der Fipspapa, Fips und ich fahren ins Krankenhaus, um auf der Wochenstation und im Kreißsaal je ein dickes Merci für eine wunderbare Geburt und gute erste Tage abzuliefern.

Erstaunlich, wie vertraut mir das Krankenhaus in nur vier Tagen geworden ist. Und Lachen muss ich als ich mich daran erinnere, wie lang der Weg zum Kreißsaal unter Wehen war – jetzt gehen wir ihn leicht und stolz, mit unserem schlafenden Baby in der Trageschale.

Nach dem Klingeln müssen wir eine Weile warten, bis eine eilige Hebamme mit Gummihandschuhen an den Händen erscheint, zu unserer Gabe „ich hab keine Zeit! Stellen Sie’s dahin, Entschuldigung!“ ruft und wieder verschwindet. Wir müssen lachen: Wie gut-gut-gut, dass wir nicht heute dort liegen, wo ihre Zeit dringender gebraucht wird als beim Geschenke entgegennehmen.

Glücklich gehen wir zur Wochenstation – und treffen dort tatsächlich auf die Hebamme, die unseren Fips entbunden hat und die letzten Stunden der Geburt für mich so genau richtig gemacht hat. Ich freue mich riesig: Tatsächlich ist sie mir in der kurzen Zeit so vertraut geworden, dass ich sie am liebsten umarmen würde. Aber ich bin kein Mensch, der sich so etwas traut. Also danke ich ihr nur noch einmal und sie strahlt entzückt unseren kleinen Fips an, der uns noch so winzig vorkommt und nach drei Wochen doch so viel agiler ist als die frischgeschlüpften Neugeborenen auf der Station. Wir verabschieden uns herzlich und bekommen noch ein „Zehn Jahre haben Sie noch Zeit für das nächste, dann gehe ich in Rente!“ mit auf den Weg.

Das wahre Wesen in mir

Auf der Fahrt nach Hause denke ich nach über diese Frau, die ich kaum angeschaut habe, weil ich so sehr mit mir beschäftigt war und die sich doch so wichtig anfühlt. Ich erinnere mich, dass im Geburtsvorbereitungskurs gesagt wurde, dass während der Geburt das wahre Wesen einer Frau zutage treten würde (wenn sie es zulässt). Und ich erinnere mich, dass ich im Kreißsaal in einer Wehenpause gefragt habe, ob sie da sei oder ob wir allein wären – und sie da war und mir dieses Wissen so unfassbar gut tat. Hm. Mein wahres Wesen. Ich habe immer alles lieber allein tun wollen, habe mich lieber nur auf mich verlassen und konnte das Leben, was daraus entstand, lange nicht teilen. Ist mein wahres Wesen nun eigentlich, dass ich gar nicht allein sein will? Irgendwie fühlt sich diese Erkenntnis richtig an. Und dass mir die Hebamme so vertraut vorkommt, liegt vielleicht daran, dass mein wahres Wesen nicht enttäuscht wurde, als es sich zum ersten Mal hervorwagte.

Wieder allein – und plötzlich ganz schön gefordert

Mitte der Wochenbettwoche reist meine Mutter wieder ab: Sie hat mich die letzten zwei Wochen durch die Tage begleitet, morgens Brötchen mitgebracht, zwischendurch das Baby bewacht, im Haushalt geholfen und vor allem diverse „Holst-bringst-gibst du mir bitte mal…“ erledigt. Der Mann ist arbeiten, das zweite Meerscheinschweinchen ist einsam und fiepst so pausenlos wie nervenaufreibend, Fips scheint das Nahen des ersten Wachstumsschubs zu spüren und ist anhänglich… und ich? Ich muss mich in diese Mutterrolle einfinden.

Plötzlich scheint alles nicht mehr so einfach. Tagsüber, allein mit dem Baby bin ich noch ziemlich ruhig – tagsüber ist Fips auch meist zufrieden, schläft noch viel (wenn auch die Wachphasen zunehmen und ich dann noch gar nicht weiß, mit was ich sie am besten füllen kann). Beim Wickeln lassen wir uns Zeit, lassen Sophie La Giraffe quietschen, kuscheln, knutschen, massieren und der halbnackte Fips genießt das Strampeln mit blankem Po.

Die Abende sind komplizierter. Es wird früh dunkel, was mich in jedem Jahr gereizt macht. Der Fipspapa und ich müssen uns in die neue Rolle als Eltern einfinden – und die sich trotz allem ansammelnde Anspannung wird am Partner ausgelassen. Haben wir an manchen Tagen überhaupt Zeit für eine einzige Umarmung gehabt? Oder geht alles Lächeln, alle Zärtlichkeit an das Baby? Viel zu oft sind wir beide gereizt und wissen dabei, dass diese Gereiztheit eigentlich aus Vermissen und – bei aller Baby-Freude – auch aus Verwirrung und beständiger Anforderung besteht.

Was ist mit unseren gewohnten Freizeitaktivitäten passiert? Okay, Filme haben wir abends schon lange nicht mehr geschaut. Aber der Fipspapa zockt zur Entspannung gern mal Handyspiele (und tut das auch jetzt) und in mir wächst die Sehnsucht nach der Tastatur. Denn wenn mein Leben sonst Kopf steht, schreibe ich wie irrsinnig. Jetzt komme ich nur in ganz seltenen kostbaren Momenten dazu und weiß nie, wie lange die schreibtaugliche Stille dauert.

Wenn Alltag zum Projekt wird

Meine Finger sind angeknabbert, fast alle zehn. Ich kaue nicht an den Nägeln, aber Zeiten der Belastung oder Aufregung knibbele ich an allem, was absteht und mache es damit schlimmer, weil immer mehr absteht. Banale Alltagsaufgaben wie Speckpfannkuchen machen werden zum Mammutprojekt, bei dem ich nicht mehr weiß, wo ich was in welcher Reihenfolge anfangen soll.

Lächerlich, eigentlich. Schließlich bin ich ein Organisationstalent. Gewesen?

Als wir Freitagmorgen frühstücken, kommt die Hebamme vorbei – ohne Termin, bzw. mit einem, den ich nicht eingetragen oder sie nicht ausgestrichen hat. Sie nimmt den in der Wippe gerade unzufrieden werdenden Fips auf den Schoß und fragt, wie es geht. Zum ersten Mal sage ich nicht „Alles super“. Ich sage, dass mir gerade alles furchtbar viel wird oder sich wenigstens so anfühlt. Weinen möchte ich am liebsten, aber das tue ich nicht. Trotzdem tröstet sie mich zum ersten Mal. Sonst ist sie eher taff und powerfrauig, aber heute sagt sie mir, dass das alles normal ist und auch sein darf und dass es vorbei geht. Und am schönsten ist, wie Fips auf ihrem Schoß sitzt: aufrecht in die Decke gewickelt, mit großen Augen und unheimlich zufrieden mit der neuen Beobachterrolle.

Was Fips mit vier Wochen mag

So lerne ich wieder ein bisschen mehr über mein Kind und beim Mittagsspaziergang kämpfe ich mit einer Liste der schönen Dinge gegen das Gefühl an, mein Baby nicht zu verstehen. Denn ich finde eine Menge, was Fips mag und das fühlt sich gut an:

  • Auf dem Schoß sitzen und beobachten
  • Hell und Dunkel anschauen
  • Sophie La Giraffe
  • Beim Schlafen oben am Kopf berührt werden
  • Am kleinen Finger schnullern
  • Wenn man über Stirn und Nase streicht
  • Vorgesungen bekommen
  • Sich nach dem Trinken an meine Brust schmiegen
  • Nach dem Trinken noch kurz an der Brust schmatzen und „spielen“
  • Bei Papa auf der Brust liegen
  • Mit mir unter einer Decke schlafen
  • Wenn ich beim Schlafen in sein Gesicht atme
  • Meine Brille mit dem dunklen Gestell
  • Über Brust oder Rücken gestreichelt zu werden
  • Fußmassagen
  • Mit nacktem Po strampeln
  • Baden
  • Etwas erzählt bekommen
  • In der Trage getragen zu werden – drinnen und draußen
  • Mit mir zu „Midnite Blues“ zu tanzen
  • Gespräche, Staubsauger, Waschmaschine und Trockner
  • Autofahren und Unternehmungen

Nach vier Wochen gar nicht so wenig, oder? Ich kann nicht die schlechteste, unaufmerksamste und empathieloseste Mutter sein, wenn ich so etwas weiß. Kein oder. Kein Fragezeichen. Ich muss lernen, mir selber zu vertrauen. Und ich muss lernen, erst mal ohne „Bestätigung“ zu leben – bzw. die Bestätigung in einem entspannten Kind zu finden und nicht in einem „danke“, einem Lächeln oder einem Fleißbienchen. Ja, ich hatte gehofft, meine Neurosen irgendwie mit einem Kind aus der Welt geschafft zu bekommen – aber Überraschung!! So etwas passiert nicht.

Man muss immer weiter selbst an sich arbeiten. An sich und an der Beziehung, deren eigentliches Basis-Glück ja die Voraussetzung für das kleine Pupsi war, was einem jetzt die Welt auf den Kopf stellt.

Die Zeit fließt, viel zu schnell zum Glück

Muttersein ist kein glatter Weg von hier in den Sonnenuntergang. Es bringen einen Dinge zur Verzweiflung, die man hinterher selbst nicht mehr begreift. Der Tag wird in Stillen und Nicht-Stillen aufgeteilt, in Wickeln und Anziehen; es bleibt wenig für einen selbst übrig. Keine Zeit zum Verarbeiten, keine Zeit zum Erinnern. Die Zeit fließt einfach voran und man taumelt so mit. Alles ist neu. Ein Kind verändert das Leben – verdammt, wie oft wurde einem das vorher gesagt. Und ja, theoretisch wusste man das. Aber praktisch hatte man keine Ahnung, was das bedeuten würde und auch nach vier Wochen Fips haut es mich immer noch um.

Eine andere Instamama hat mir gerade geschrieben, dass einem immer alle raten, vor der Geburt noch mal ins Kino zu gehen und die Zeit zu zweit zu genießen. Richtig – aber sie würde eher dazu raten, vorher alles aufzuschreiben, was einem an einem selbst wichtig war und was man an seinem Leben geliebt hat. Denn wahrscheinlich müsse man danach von sehr vielem und vor allem von seinem alten Ich erst mal Abschied nehmen. Kluge Worte.

Klinge ich gerade unglücklich? Das bin ich nicht, nur #mimimi. Ich bin dankbar für diese halbe Stunde, die ich gerade schreiben und verarbeiten durfte. Ich bin auch dankbar für das zufriedene kleine Mopsi, das neben mir schläft und das sich so wunderbar problemlos entwickelt. Ich bin dankbar für den Fipspapa und dass wir beide immer an uns arbeiten können. Und ich weiß dank einiger lieber Stimmen, das ich nicht allein bin mit meinem Gefühl von Chaos und Überforderung. Das ist kein großer Trost, aber für den Moment muss es reichen. Die Zeit fließt, ja, und das wird auch wieder sein Gutes haben.

7 Gedanken zu “Im Wochenbett: Die vierte Woche

  1. Ella schreibt:

    Ich habe genau zwei Jahre vor dir mein erstes Kind bekommen und kann mich mit deinem Text wieder genau in diese Zeit zurück versetzen. Jeden einzelnen Satz kann ich unterschreiben. Nun kam vor 5 Monaten mein zweites Kind zur Welt. Und obwohl alles viel anstrengender ist, war es doch viel einfacher. 🙃
    Alles Liebe für euch!

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  2. SariSafari schreibt:

    Ein wundervoller Text. Auch wenn die Geburt meiner Tochter 20 Monate her ist, kann ich mich noch gut an diese Gefühle erinnern.
    Ich freue mich, dass du diese Worte gewählt hast und damit auch einen anderen Blickwinkel des Mutterseins beleuchtest.

    Liebe ich genug? Mache ich dieses oder jedes richtig? Wie bekomme ich den Tag herum, der einerseits irre lang und dann auch wieder super kurz ist? Wie schaffe ich es, Hilfe anzunehmen bzw. einzufordern? Stillen?

    Einer absolut komplikationslosen Geburt folgte eine komplikationslose Eingewöhnung zu Hause. Stillen? Kein Problem! Nach Milcheinschuß und ein paar Tagen Stillhütchen hatte ich Sahne statt Milch. Meine Tochter wuchs und gedieh, schlief früh durch und war absolut satt und zufrieden.
    Einziges Problem: ich hasste es! Andere Mütter werden mich dafür verurteilen, aber ich mochte weder das Gefühl des saugens, noch die Tatsache, dass ich gerade mein Kind satt machen kann mit nichts als meinem Körper. Es befremdete mich und ein Stück weit empfand ich fast Ekel davor. Tausend mal lieber hätte ich mit meinem Kind “freiwillig und angezogen“ gekuschelt als ständig halb nackt im Auto auf dem Aldi Parkplatz oder von den Besuchern abgewandt im Eiscafe oder auch zu Hause auf der eigenen Couch zu sitzen und “ernähren zu müssen“.
    Nach 5 Monaten habe ich komplikationslos abgestillt.
    Als ich endlich ehrlich zu mir und meinem Umfeld sein konnte, befand ich mich schon tief in einer depressiven Phase, die manchmal heute noch ihre unbarmherzigen Krallen nach mir ausstreckt.
    Bin nämlich wieder schwanger (aktuell in der 24. Woche). Diese Schangerschaft war gewollt, hat mich aber emotional vor große Herausforderungen gestellt.
    Bereue es, in der ersten Wochebettzeit und darüber hinaus so wenig Freude empfunden zu haben und diese Zeit bis zum Abstillen als endlose Mühsal und Hatz empfunden zu haben. Klar, es gab auch gute Tage/ Wochen und zum Glück überwiegen diese mittlerweile, dennoch habe ich sehr schwere 20 Monte hinter mir.

    Das habe ich mir jetzt einfach mal in 10 Minuten von der Seele geschrieben. Ich hoffe, du kannst Teile davon “verwerten“. Ich jedenfalls fühle mich durch deinen Text sehr verstanden und finde mich sehr in ihm wieder.

    Einen wunderschönen Abend noch.

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    • Sabine Wirsching schreibt:

      Wow, ich habe gerade riesengroßen Respekt vor dir!! Dass du das, was von vielen #stillenistliebe-Mamas als ein solches „Muss“ verstanden wird, MUSS eben nicht ausnahmslos für jeden schön und richtig sein. Umso besser, dass du für dich und damit sicher auch für euch die richtige Etscheidung getroffen hast. Ich wünsche dir für dein zweites Kind, dass du diese erste Zeit mit dieser Erkenntnis nun viel besser genießen kannst ❤ Alles, alles Liebe von mir!!

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